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Über das Fliehen in der Verfolgung.

214-217 n. Chr.

[Übersetzt von Dr. K. A. Heinrich Kellner]

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Inhalt:

1.  Cap. Die Christenverfolgungen sind nicht bloss als Veranstaltungen des Teufels aufzufassen, sondern richtiger auf die Zulassung und den positiven Willen Gottes zurückzuführen. Denn sie fördern die Gottesfurcht und den Glauben.

2.  Cap. Der Teufel ist allerdings dabei in besonderer Weise thätig. Allein aus der h. Schrift ist ersichtlich, dass er niemand versuchen kann ohne die Zulassung Gottes.

3.  Cap. In den Verfolgungen wird der Glaube gestärkt und bewährt. Darum ist Gott ihr Urheber.

4.  Cap. Man darf sich der Verfolgung schon aus dem Grunde nicht durch die Flucht entziehen, weil sie etwas von Gott Gewolltes ist.

5.  Cap. Auch die Befürchtung, es könne uns in der Verfolgung an Standhaftigkeit fehlen, darf nicht als Grund zur Flucht gelten. Beispiel des Rutilius.

6.  Cap. Die Matth. 10, 23 gegebene Weisung zu fliehen beschränkt Tertullian auf Judäa und die Personen der Apostel.

7.  Cap. Andere Stellen der h. Schrift enthalten direkte Aufforderungen zum Bekennen des Namens des Herrn. Diese können nicht erfüllt werden, wenn die Flucht erlaubt ist.

8.  Cap. Christus selbst wich der Verfolgung nur aus, um sein Lehramt zu Ende führen zu können. Nachdem dies geschehen war, ging er in den Tod, obwohl er die Schwäche des Fleisches anerkannte. Er bat um das Vorübergehen des Kelches, nahm ihn dann aber sogleich an.

9.  Cap. Die Apostel ermahnen in ihren Schriften nirgends zur Flucht, aber oft zur Standhaftigkeit. Dasselbe thut der Paraklet.

10. Cap. Andere Gründe, warum man nicht fliehen soll. Halb gekämpft zu haben, ist immer noch besser, als geflohen zu sein. Man muss doch einmal sterben, und seiner Bestimmung kann man nicht entrinnen.  |378

11.  Cap. Noch weniger als den gewöhnlichen Gläubigen steht den Hirten die Flucht an, den Bischöfen, Priestern und Diakonen.

12.  Cap. Ob man sich durch Bestechung der Beamten vor der Verfolgung frei kaufen dürfe?

13.  Cap. Fortsetzung.

14.  Cap. Man soll auch nicht die Polizei bestechen, um die gottesdienstlichen Versammlungen zu ermöglichen. Schluss. Hinweisung auf den Paraklet.

1. Wegen einer, ich weiss nicht recht welcher Prophezeiung, 1) hast du mich kürzlich gefragt, lieber Bruder Fabius, ob man in der Verfolgung fliehen dürfe oder nicht. Ich habe sofort, so gut es die Zeit, der Ort und die Ungezogenheit gewisser Personen erlaubte, einiges darauf erwidert, die Materie aber halb erledigt mit mir genommen, um mich nun in vollständigerer Weise schriftlich über sie zu erklären, da sie mir durch deine Anfrage empfohlen und durch die Zeitverhältnisse an und für sich schon nahegelegt war. Denn je häufiger die Verfolgungen drohen, desto mehr muss man auf Prüfung der Frage bedacht sein, welches Verhalten der Glaube ihnen gegenüber vorschreibe. Besonders auf Eurer Seite muss man an diese Prüfung denken, weil Ihr dadurch, dass Ihr, wo möglich, den Paralclet, den Einführer in alle Wahrheit, nicht annehmt, natürlich auch noch mit andern Fragen zu schaffen habt.

Daher haben wir denn in den Gegenstand deiner Anfrage Methode gebracht, in der Erwägung, dass erst über den Charakter und das Wesen der Verfolgung selbst etwas bestimmtes ausgemacht werden müsse, ob sie nämlich von Gott oder vom Teufel komme, um dann leichter über das Verhalten bei derselben etwas feststellen zu können. Denn der Einblick wird bei jeder Sache klarer, wenn man ihren Urheber erkannt hat. Es wäre zwar genug, gründlich darzuthun,2) dass nichts ohne den Willen Gottes geschieht, allein wir würden mit diesem Ausspruche noch nicht sofort alle übrigen Bedenken beseitigt haben, wenn z. B. etwa einer einwerfen wollte: Also kommt auch das Böse von Gott und die Sünde von Gott, und es kommt weder auf den Teufel noch auf uns mehr irgend etwas an.

Es handelt sich jetzt um die Verfolgung an sich. In betreff derselben möchte ich vorläufig behauptet haben, nichts geschieht ohne den Willen Gottes, ich sage dies in Rücksicht darauf, dass sie vor allen Dingen Gottes würdig, ja, sozusagen für ihn notwendig ist, nämlich zur Bewährung, beziehungsweise Nichtbewährung seiner Diener. Denn was wäre sonst das |379 Resultat der Verfolgung, welches ihre Wirkung, wenn nicht die Bewährung, beziehungsweise die Nichtbewährung des Glaubens, wonach der Herr die Seinigen beurteilen und richten wird? Dieses Gericht des Herrn ist eben die Verfolgung, in welcher man entweder bewährt oder nichtbewährt gefunden wird. Nun aber steht dieses Gericht allein Gott zu. Es ist jene Wurfschaufel, womit er auch gegenwärtig seine Tenne reinigt, ich meine die Kirche, indem er den vermengten Fruchthaufen seiner Gläubigen worfelt und den Weizen der Märtyrer von der Spreu der Abtrünnigen sondert. Das sind auch die Leitern, von denen Jakob träumt, welche für den einen den Aufstieg zum Höhern, für den andern das Hinabsteigen zur Unterwelt symbolisieren. So kann die Verfolgung auch als der Wettkampf betrachtet werden. 3) Von wem wird der Wettkampf angesagt? Nur von dem, welcher die Krone und die Preise aussetzt. Das Edikt in betreff dieses Wettkampfes steht in der Apokalypse; dort liesest du, durch was für Preise Gott zum Triumphe einladet, namentlich diejenigen, welche im eigentlichen Sinne in der Verfolgung gesiegt haben, die in Wahrheit siegreich gekämpft haben, nicht gegen Fleisch und Blut, sondern gegen die Geister der Bosheit. Daher wird man einsehen, dass das Urteil über den Kampf vor denselben, der zum Preise einladet, als vor den Preisrichter gehört. Das ganze, um was es in der Verfolgung sich handelt, ist die Ehre Gottes, der prüft und verwirft, der auflegt und wegnimmt. Was sich aber auf die Ehre Gottes bezieht, das wird doch wohl auch nach seinem Willen eintreffen. Aber wann wird denn lebendiger an Gott geglaubt, als wenn er am meisten gefürchtet wird, als in der Zeit der Verfolgung? Die Kirche ist beängstigt. Alsdann ist auch der Glaube ängstlicher im Handeln und disziplinierter im Fasten, in Stationsfasten, im Gebet, in Verdemütigungen, in gegenseitiger Hingebung und Liebe, in Heiligkeit und Massigkeit. Denn man hat für nichts Zeit als für die Furcht und die Hoffnung. Folglich zeigt es sich auch darin, dass man sie nicht dem Teufel zuschreiben darf, weil die Diener Gottes durch sie gebessert werden.

2. Nun kommt aber die Ungerechtigkeit doch nicht von Gott, sondern vom Teufel, und die Verfolgung ist aus lauter Ungerechtigkeiten zusammengesetzt; ---- denn was könnte ungerechter sein, als die Diener des wahren Gottes, lauter Anhänger der Wahrheit wie Verbrecher zu behandeln? ----Aus diesem Grunde könnte es uns scheinen, die Verfolgung gehe vom Teufel aus; denn von ihm wird die Ungerechtigkeit, woraus die Verfolgung besteht, betrieben. Da muss man nun wissen, dass, eben weil es ohne die Ungerechtigkeit des Teufels keine Verfolgung und ohne Verfolgung keine Prüfung des Glaubens gibt, dass darum gerade die Ungerechtigkeit zur Prüfung |380 des Glaubens notwendig sei und an dem Charakter der Verfolgung nichts bessere, sondern ihr nur als Mittel diene. Denn der Willensbeschluss Gottes, der sich auf die Prüfung des Glaubens bezieht, welch' letztere der eigentliche Grund der Verfolgung ist, geht ihr vorher. Die Ungerechtigkeit des Teufels aber, als das Instrument der Verfolgung, ist das nachfolgende und diese ist der innere Grund der Prüfung. Denn in demselben Grade, als die Ungerechtigkeit die Feindin der Gerechtigkeit ist, dient sie auch sonst dazu, das Dasein der letztern, deren Feindin sie ist, zu beweisen, und die Gerechtigkeit wird daher in derselben Weise in der Ungerechtigkeit vollendet, wie die Tugend in der Schwachheit. 4) "Denn, was schwach war vor der Welt, ist von Gott auserwählt worden, um das Starke zu beschämen, und was vor ihr thöricht war, um die Weisheit zu beschämen."

So dient denn auch die Ungerechtigkeit dazu, die Gerechtigkeit zu bewähren, wodurch die Ungerechtigkeit beschämt wird. Weil also Dienstleistungen nicht Sache des freien Willens sind, sondern ein Zeichen der Knechtschaft ---- Wille Gottes nämlich ist die Verfolgung zum Zweck der Bewährung des Glaubens, die Ungerechtigkeit dagegen ist nur die notwendige Dienstleistung des Teufels zur Inswerksetzung der Verfolgung ----, deshalb glauben wir, die Verfolgung komme nicht vom Teufel, sondern höchstens mit Hilfe des Teufels. Nichts ist ja dem Satan gegen die Diener Gottes zu thun erlaubt ohne Zustimmung Gottes, entweder um den Satan selbst zu Schanden zu machen durch den Glauben der Auserwählten, der in der Verfolgung siegreich ist, oder um die Menschen, die zu ihm abfallen werden, als ihm angehörig zu beschämen. Man hat dafür das Beispiel des Job, dem der Teufel ohne die Erlaubnis Gottes keine Versuchung, auch nicht einmal gegen seine Habe, zu bereiten imstande gewesen wäre, wenn Gott nicht gesagt hätte: "Siehe, alles, was er hat, gebe ich in deine Hand; gegen ihn selbst aber sollst du deine Hand nicht ausstrecken." 5) Und so streckte er sie denn auch nicht aus, als erst späterhin, und auch da nur auf die besondere Aufforderung des Herrn: "Siehe, ich überlasse ihn dir, nur schone sein Leben." 6) So forderte er auch in betreff der Apostel die Erlaubnis, sie zu versuchen, indem er sie nicht besass ohne diese Erlaubnis, da ja der Herr im Evangelium zu Petrus sagte: "Siehe, der Satan hat begehrt, Euch zu sichten wie Weizen, aber ich habe für dich gebeten, damit dein Glaube nicht wanke",7) d. h. gebeten, dass dem Teufel nicht so viel erlaubt werde, dass der Glaube in Gefahr kommen könnte.

Daraus ist ersichtlich, dass beides bei Gott stehe, sowohl die Prüfung des Glaubens als dessen Beschützung, indem er um beides gebeten wird, |381 um die Prüfung vom Teufel und um die Beschützung vom Sohne. Und in der That, da die Beschützung des Glaubens zu der Gewalt gehört, die der Sohn Gottes sich vom Vater erbeten hat, von welchem er ja alle Gewalt empfängt im Himmel und auf Erden, wie sollte es denn zugehen, dass die Prüfung des Glaubens in der Hand des Teufels läge? Wenn wir in dem vorgeschriebenen Gebete sagen: "Führe uns nicht in Versuchung" ---- und eine grössere Versuchung als die Verfolgung kann es wohl nicht geben ----, so bekennen wir damit, dass sie von dem komme, den wir um Nachsicht bitten. Denn diesen Zweck haben ja die folgende Worte: "Sondern erlöse uns vom Übel", d. h. führe uns nicht in Versuchung, indem du uns dem Bösen überlassest! Dann nämlich werden wir den Händen des Teufels entrissen, wenn wir ihm nicht überlassen bleiben zum Zweck des Versuchens. Würde doch die Legion Teufel nicht einmal über die Schweineherde Macht gehabt haben, wenn sie den Herrn nicht darum gebeten hätte. So viel fehlt daran, dass er Macht über die Herde Gottes hat. Ich könnte sagen, auch die Borsten der Schweine waren damals beim Herrn gezählt, um wie viel mehr denn die Haupthaare der Heiligen.

Eine eigene Gewalt scheint der Teufel jetzt höchstens über die zu besitzen, welche mit Gott nichts zu schaffen haben, da die Heiden für immer von Gott als der Tropfen am Eimer, als der Staub auf der Tenne, als Auswurf gerechnet werden, und darum dem Teufel als sein freies Besitztum preisgegeben sind. Wider die Freunde Gottes dagegen ist ihm nichts gestattet, nach seinem eigenen Belieben, weil, wenn ihm je etwas erlaubt ist, es aus bestimmten Ursachen geschieht, wie die in der h. Schrift aufgezeichneten Beispiele beweisen. Denn es wird ihm das Recht, zu versuchen, auf fremden oder eigenen Antrag nur zugestanden, entweder zum Zwecke der Bewährung, wie bei den oben angeführten, oder der Sünder wird ihm zum Zwecke der Verwerfung übergeben, wie Saul; ---- "Und es wich", heisst es, "der Geist des Herrn von Saul, und es schlug ihn der böse Geist und er erwürgte ihn 8) ---- oder zum Zwecke des Niederhaltens, wie der Apostel berichtet, dass ihm der Pfahl beigegeben sei als Engel des Satans, um ihm Streiche zu versetzen. Und auch dies wird dem Teufel nicht dazu gestattet, um die Heiligen durch die Plage des Fleisches zu demütigen, sondern nur damit sich zu gleicher Zeit auch die Tugend des Ertragens vollenden könne, nämlich in der Schwachheit. Denn der Apostel selbst übergab dem Satan den Phygelas und Hermogenes, damit sie gebessert würden und nicht lästerten. Da siehst du nun, dass der Teufel sogar von den Knechten Gottes erst Vollmacht empfängt, um so weniger wird er sie als sein Eigentum besitzen. |382 

3. Beispiele davon kommen also zumeist in den Verfolgungen vor; denn dann werden wir gerade am meisten geprüft, beziehungsweise verworfen, so wie auch am meisten gedemütigt und geläutert. Daher ist die notwendige Folge die, dass die Erlaubnis oder der Befehl dazu, dass dies allgemein geschehe, von dem ausgehe, der auch die speziellen Fälle bewirkt, nämlich von dem, der da sagt: "Ich bin es, der Frieden bewirkt und Übles schafft", 9) d. h. den Krieg; denn dieser ist das Gegenteil des Friedens. Für unsern Frieden aber gibt es nicht wohl eine andere Störung, als die Verfolgung. Wenn die Verfolgung wenigstens in ihrem gewöhnlichen Verlauf entweder Leben oder Tod, Wunden oder Heilung bringt, so siehst du den Urheber derselben in den Worten angedeutet: "Ich bin es, der schlägt, und ich werde heilen; ich werde lebendig machen und töten." 10) "Ich werde sie glühen, wie man Gold glüht, und sie prüfen", heisst es, "wie man Silber prüft." 11) Wenn wir nämlich geglüht werden im Feuer der Verfolgung, so wird die Stärke unseres Glaubens erprobt. Das werden wohl die "feurigen Geschosse des Teufels" 12) sein, wodurch sich die Glühendmachung und Anfachung des Glaubens vollzieht, jedoch gemäss dem Willen Gottes. Wie jemand daran zweifeln kann, begreife ich nicht, sein Glaube müsste denn ganz hinfällig und kalt sein, wie bei denen, die nur mit Zittern und Zagen zur Kirche kommen. Ihr sagt nämlich, wir kämen in ungeregelter Weise zusammen, kämen zu gleicher Zeit und in grösserer Anzahl zur Kirche, darum würden wir von den Heiden aufgesucht und Ihr seid besorgt, "die Heiden möchten toben". Aber wisst Ihr denn nicht, dass Gott der Gott aller ist. Und wenn es Gott will, so wirst du Verfolgung erleiden; wenn er es aber nicht will, dann werden die Heiden ruhig bleiben. Sicher musst du dies glauben, wenn du überhaupt nur an Gott glaubst, ohne dessen Willen auch nicht einmal ein Sperling auf die Erde fällt. Wir aber sind doch, sollte ich glauben, besser als viele Sperlinge.

4. Da es folglich feststeht, von wem die Verfolgung kommt, so können wir jetzt deine Anfrage vornehmen und schon aus dieser Vorverhandlung den bestimmten Schluss ziehen, dass man vor der Verfolgung nicht fliehen dürfe. Denn, kommt die Verfolgung von Gott, so wird man, was von Gott kommt, durchaus nicht fliehen dürfen; wie sich das denn auch durch zweierlei Ursachen von selbst verbietet, erstens weil man nicht vermeiden darf, und zweitens weil man nicht vermeiden kann, was von Gott kommt. Man darf es nicht vermeiden, weil es etwas Gutes ist; denn was Gott beschlossen hat, muss notwendig etwas |383 Gutes sein. Oder steht etwa deshalb in der Genesis: "Gott sah, dass es gut war", weil er noch nicht wusste, dass es gut sei, bis er erst zugesehen haben würde? Nein; sondern, um mit diesem Worte anzudeuten, dass das, was Gott beschlossen hatte, gut sei.

Es gibt aber vieles, was von Gott kommt und doch zum Nachteile von irgend jemand ausschlägt. ---- Mit nichten; da es von Gott kommt, darum eben ist es gut, als etwas Göttliches, Wohlbegründetes. Denn was ist göttlich, und dabei nicht vernünftig, nicht gut? Welches Gute ist nicht göttlich? Wenn es aber der Anschauung dieses oder jenes Menschen dennoch so vorkommt, so ist zu sagen, seine Anschauung ist kein Präjudiz gegen das Wesen der Dinge, sondern das Wesen ist ein Präjudiz gegen seine Anschauung. Denn das Wesen ist immer etwas Gewisses und gibt dem Geiste das Gesetz, das Wesen so aufzufassen, wie es ist. Wofern nun aber, was von Gott kommt, dem Wesen nach gut ist, ---- denn alles, was von Gott ist, ist gut, weil göttlich, weil vernünftig ---- wenn es aber den Sinnen dennoch schlecht erscheint, so hat es mit dem Wesen seine Richtigkeit, die Anschauung dagegen ist fehlerhaft. Ihrem Wesen nach etwas sehr Gutes ist die Keuschheit, die Wahrhaftigkeit, die Gerechtigkeit, und doch sind sie für die sinnliche Wahrnehmung Vieler missfällige Dinge. Wird darum etwa der Vorstellung das Wesen zum Opfer gebracht?

So ist denn auch die Verfolgung ihrem Wesen nach etwas Gutes, weil eine göttliche und wohlbegründete Anordnung; dem Sinne derer aber, zu deren Nachteil sie kommt, missfällt sie. Da siehst du, dass, wenn jemand in der Verfolgung sein Heil verliert, auch dieses Übel seinen guten Grund bei Gott hat, so wie, wenn jemandes Seelenheil durch die Verfolgung gefördert wird, auch dieses Glück mit gutem Grunde eintrifft. Es müsste denn etwa sein, dass vor dem Herrn das Zugrundegehen und das Gerettetwerden nach blinder Unvernunft geschähe. Nur in diesem Falle müsste man sagen, die Verfolgung sei ein Übel, während sie doch, selbst ihrer übeln Seite nach, etwas Gutes ist, indem sie aus einem vernünftigen Grunde stattfindet. Wenn so also die Verfolgung in jeder Hinsicht etwas Gutes ist, ---- wir haben ihr Wesen ja festgestellt, ---- so geht unsere Entscheidung mit, Recht dahin: Was gut ist, darf man nicht fliehen, weil es ein Fehler wäre, etwas Gutes zurückzuweisen, und zwar um so weniger, weil es Gott so beliebt hat; ja man kann sie vollends nicht einmal vermeiden, weil sie von Gott kommt, dessen Willen man nicht entfliehen kann. Diejenigen folglich, welche glauben, fliehen zu sollen, machen Gott die Verfolgung als etwas Böses zum Vorwurfe, insofern sie ihr entfliehen, weil sie etwas Böses sei, ---- denn etwas Gutes sucht niemand zu vermeiden. Oder sie halten sich für stärker als Gott, indem sie glauben, sie könnten noch entkommen, wenn Gott derartige Ereignisse zulassen will. |384 

5. Nein, sagt man da, was mich angeht, so suche ich nur meinem Verderben zu entfliehen, da ich möglicherweise verleugnen könnte; Gottes Sache ist es, wenn er will, mich trotz meiner Flucht wieder zurückzubringen. ---- Beantworte mir nun zuerst die Frage: Weisst du gewiss, dass du verleugnen wirst, wenn du nicht fliehest, oder nicht gewiss? "Wenn du nämlich dessen sicher bist, dass du verleugnen wirst, so hast du schon verleugnet; 13) denn durch den festen Glauben daran hast du bei dir das festgesetzt, was du voraussetzest, und es ist thöricht, dass du noch fliehest, um nicht zu verleugnen, denn wenn du verleugnen willst, so hast du bereits verleugnet. Wenn du aber deiner Sache nicht sicher bist und die Ungewissheit nach beiden Richtungen hin gleich gross ist, warum nimmst du denn da nicht an, du seiest imstande, das Bekenntnis abzulegen und in einem höheren Grade zum Heile zu gelangen. Du solltest also erst recht nicht fliehen, wie du umgekehrt ja die Annahme machst, du werdest verleugnen, um fliehen zu können. Schon jetzt steht beides entweder bei uns oder ganz bei Gott. Wenn das Bekenntnis, beziehungsweise das Ableugnen bei uns steht, warum setzen wir nicht das Bessere voraus, d. h. dass wir bekennen werden? Oder willst du vielleicht bekennen, ohne etwas dabei zu leiden? Nicht bekennen wollen lieisst aber verleugnen. Steht dagegen das Ganze bei Gott, warum überlassen wir es denn nicht ganz Gott, indem wir seine Macht und Kraft anerkennen, wonach er uns, sowohl, wenn wir fliehen, zurückbringen, als auch, wenn wir nicht fliehen, ja sogar dann, wenn wir mitten unter den Leuten umhergehen, uns decken kann? Was soll das heissen, wenn du hinsichtlich des Fliehens Gott die Ehre gibst, er sei auch, wenn du fliehest, dich zurückzuführen imstande, in Bezug auf das Zeugnisablegen aber nicht, und an der Macht des von ihm kommenden Schutzes verzweifelst?! Warum sagst du nicht vielmehr hier auf Seiten der Standhaftigkeit und des Gottvertrauens stellend: Ich will thun, was an mir ist, und nicht fortgehen; Gott wird mich, wenn er will, selbst beschützen. Das wäre vielmehr unsere Pflicht, unter dem Willen Gottes standzuhalten, nicht aber nach unserm eigenen Willen zu fliehen.

Rutilius, der heilige Märtyrer, 14) war so und so viel Mal vor der Verfolgung von Ort zu Ort geflohen und hatte sich sogar, wie er sich schmeichelte, von der Gefahr mit Geld freigekauft. Trotz der grossen Sicherheit, die er sich davon versprochen hatte, wurde er unvermutet ergriffen, vor den Oberpräsidenten gestellt und auf der Folter förmlich in Stücke gerissen, ---- ich glaube zur Strafe für sein Fliehen ---- sodann dem Feuertode überliefert, dankte er der göttlichen Barmherzigkeit für das |385 Leiden, das er gemieden hatte. Was anders wollte uns Gott durch dieses Beispiel zeigen, als dass wir nicht fliehen sollen, weil die Flucht nichts hilft, wenn Gott nicht will.

6. Nein, sagt man da, er hat vielmehr, indem er von Stadt zu Stadt floh, eine Vorschrift erfüllt. 15) ---- So nämlich wollte sich einer, der aber selber auch ein Ausreisser war, die Sache zurechtklügeln, und ebenso alle die, welche, wie er, den Sinn jenes Ausspruches des Herrn nicht verstehen wollen, um ihn als Deckmantel für ihre Furchtsamkeit zu gebrauchen, obwohl derselbe doch seine besonderen Personen, Zeiten und Ursachen im Auge hat. "Wenn sie anfangen," heisst es, "euch zu verfolgen, so fliehet von Stadt zu Stadt." Das, behaupten wir, bezieht sich im eigentlichen Sinne auf die Personen der Apostel, auf ihre Zeiten und ihre Lage, wie die folgenden Aussprüche, die auch nur auf die Apostel passen, beweisen. "Den Weg zu den Heiden nehmt nicht, und eine Stadt der Samariter sollt ihr nicht betreten, sondern geht vielmehr hin zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel." 16) Uns dagegen steht der Weg zu den Heiden offen, wir sind auf ihm gefunden worden und wir gehen ihn bis zum Ende, auch ist keine Stadt davon ausgenommen. Daher predigen wir ja auch auf dem ganzen Erdkreise, und die Sorge um Israel ist uns nicht in ausserordentlicher Weise auf die Seele gebunden, sondern nur, insoweit wir allen Völkern predigen sollen. Und wenn wir ergriffen werden, führt man uns nicht in ihre Versammlungen; wir werden auch nicht in ihren Synagogen gegeisselt, sondern jedenfalls vor die römischen Gewalthaber und Gerichtshöfe gestellt.

So also war denn auch für die Lage der Apostel die Vorschrift zu fliehen erforderlich, weil zuerst den verlorenen Schafen des Hauses Israel gepredigt werden musste. Damit also die Predigt bei denen durchgeführt werde, wo es zuerst geschehen musste, so dass erst die Kinder, dann die Hunde das Brot bekämen, gab der Herr ihnen damals auf eine Zeit lang die Vorschrift, zu fliehen, nicht um die eigentlich sogenannte Gefahr der Verfolgung illusorisch zu machen ---- er sagte ihnen ja voraus, dass sie Verfolgungen leiden würden und lehrte sie, dieselben dulden. ---- sondern wegen des Fortganges der Verkündigung, damit nicht etwa mit sofortiger Beseitigung ihrer Personen auch die Ausbreitung des Evangeliums unterdrückt würde. Darum sollten sie auch nicht verstohlen in irgend eine Stadt fliehen, sondern wie Leute, welche überall predigen und darum überall Verfolgungen erleiden sollten, so lange bis ihr Lehramt beendigt wäre. "Denn ihr werdet", sagt er, "mit den Städten Israels nicht zu Ende |386 kommen." 17) Also die Vorschrift, zu fliehen, galt nur innerhalb der Grenzen von Judäa. Für uns aber gibt es keine die Predigt auf Judäa beschränkende Vorschrift, da der h. Geist bereits über alles Fleisch ausgegossen ist. Daher bezeugen Paulus und die Apostel selber, eingedenk der Vorschrift des Herrn, vor Israel, das sie schon ganz mit ihrer Lehre erfüllt hatten: "Euch musste zuerst das Wort dargeboten werden, weil ihr es jedoch zurückgestossen und euch des ewigen Lebens nicht für würdig erachtet habt, siehe, so wenden wir uns an die Heiden." 18) Und sich von ihnen abwendend, betraten auch sie, wie schon ihre Vorgänger gelehrt hatten, den Weg zu den Heiden und begaben sich in die Städte der Samariter, auf dass "über die ganze Erde ausgehe ihr Schall und bis an die Grenzen des Erdkreises ihre Stimmen." 19)

Wenn folglich das Ausnahmeverbot in betreff des Gehens zu den Heiden und des Betretens der Städte der Samariter erloschen ist, warum sollte nicht auch die zu gleicher Zeit erlassene Vorschrift, zu fliehen, erloschen sein? Denn von dem Zeitpunkt an, wo die Apostel von dem gesättigten Israel weg zu den Heiden hingingen, da flohen sie auch nicht mehr von Stadt zu Stadt und trugen kein Bedenken, zu leiden. Hatte früher doch auch Paulus darein gewilligt, über die Stadtmauern hinweg der Verfolgung zu entkommen, weil dies für jenen Zeitpunkt noch Vorschrift war; gegen Ende seiner dienstlichen Laufbahn aber und nach Ablauf der Geltung jener Vorschrift gab er, ohwohl ihn seine Schüler inständig baten, sich nicht nach Jerusalem zu begeben, indem er dort leiden würde, was ihm Agabus prophezeit hatte, ihrer Besorgnis keineswegs nach, sondern sagte im Gegenteil: "Was thut ihr da und weint und setzt mein Herz in Verwirrung? Ich hätte nicht bloss gewünscht, Bande zu dulden, sondern auch zu Jerusalem zu sterben um des Namens des Herrn Jesu Christi willen. "Und so sagten alle: "Es geschehe der Wille des Herrn." 20) Was war der Wille des Herrn? Natürlich der, dass er der Verfolgung nicht entfliehe. Sonst hätten sie können den früheren Willen des Herrn hervorheben, dass man fliehen solle, da sie ja von ihm die Verfolgung vermieden wünschten. Da folglich bei den Aposteln selbst die Vorschrift, zu fliehen, nur eine zeitweilige war, wie auch andere Vorschriften, so können die Einräumungen, die der Herr für unsere Lehrmeister gemacht hatte, für uns nicht fortdauern, selbst nicht in dem Falle, dass sie nicht für sie allein gegeben worden wären. Hätte aber der Herr den Fortbestand jenes Gebotes gewollt, so hätten die Apostel gesündigt, weil sie nicht bis zu ihrem Lebensende auf Flucht sannen. |387 

7. Sehen wir nun zu, oh auch die übrigen Anordnungen des Herrn mit der immerwährenden Geltung der Vorschrift des Fliehens harmonieren? ----Erstens, kommt die Verfolgung von Gott, was soll es dann heissen, däss der Befehl, davor zu fliehen, von dem ausgeht, der sie herbeiführt? Wenn er wollte, dass man ihr entfliehe, so hätte er sie besser gar nicht geschickt, damit es nicht den Anschein gewinne, als würde sein Wille durch ein entgegengesetztes Wollen übertreten. Denn entweder war es sein Wille, dass wir die Verfolgung leiden, oder dass wir ihr entfliehen sollten! War ersteres der Fall, wie kann er wollen, dass wir leiden? Wenn letzteres, wie sollen wir entfliehen? Und welche Wandelbarkeit in den Meinungen, die Flucht zu befehlen, zugleich aber zum Leiden einzuladen, was doch das Gegenteil von Flucht ist! "Wer mich bekannt haben wird, den werde ich auch vor meinem Vater bekennen." 21) ---- Wie soll der Flüchtling ihn bekennen? Wie kann der Bekenner fliehen? "Wer sich meiner schämen wird, dessen werde ich mich auch vor meinem Vater schämen." 22) ---- Wenn ich das Leiden vermeide, so mache ich das Bekennen illusorisch. "Glücklich, welche Verfolgung leiden um meines Namens willen." 23) ----Unglücklich also, welche geflohen sind und nicht der Vorschrift gemäss gelitten haben. "Wer aushält bis zu Ende, der wird gerettet werden." 24) Also, wenn du mich fliehen heissest, wie kann es dann dein Wille sein, dass ich bis zu Ende aushalte? Wenn eine solche Wandelbarkeit in den Ansichten nicht mit der göttlichen Strenge harmoniert, so ergibt sich auch daraus deutlich, dass die Vorschrift, zu fliehen, wie wir gezeigt haben, nur damals einen vernünftigen Grund hatte.

Allein nun heisst es, Gott hat die Schwachheit einiger vorausgesehen und daher entsprechend seiner Milde ihnen den Hafen der Flucht gezeigt. Ja, er war ja auch nicht imstande, ohne die Flucht, ohne dieses so schändliche, unwürdige und sklavische Mittel, die zu bewahren, deren Schwäche in der Verfolgung ihm bekannt war! Nun aber begünstigt er die Schwachen niemals, sondern verwirft sie stets; denn erstens lehrt er, dass man vor den Verfolgern nicht fliehen, ja sie nicht einmal fürchten dürfe. "Fürchtet euch nicht vor denen, welche den Leib töten, der Seele aber nichts schaden können, sondern fürchtet vielmehr den, welcher den Leib mit der Seele in der Hölle verderben kann." 25) Zweitens, welches Los hat er den Furchtsamen vorherbestimmt? "Wer sein Leben mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert, und wer sein Kreuz nicht auf sich nimmt und mir nachfolgt, der kann mein Jünger nicht sein." 26) In der Apokalypse schliesslich stellt er den Furchtsamen nicht Flucht in Aussicht, sondern ihren Anteil unter den übrigen Verworfenen, im See des Schwefels und Feuers, welches den zweiten Tod bedeutet. 27) |388 

8. Christus selbst wich zuweilen auch wohl einmal vor der Gewalt zurück, allein aus demselben Grunde, warum er auch den Aposteln zu fliehen befohlen hatte, bis er nämlich mit seinem Lehramt zu Ende wäre. Nach dessen Beendigung hielt er nicht nur stand, nein, er verlangte von seinem Vater nicht einmal das Hilfsheer der Engel, und er schalt Petrus sogar wegen des Schwertes. Er bekannte zwar selber auch, dass seine Seele bis zum Tode beängstigt und sein Fleisch schwach sei, um durch die der Seele eigentümliche Beängstigung und durch die Schwachheit des Fleisches erstens zu zeigen, dass er beide Substanzen des Menschen besitze, und damit du nicht, wie gewisse Leute jetzt begonnen haben. Leib und Seele Christi für anders geartet 28) ausgibst, zweitens damit du nach Darlegung der Beschaffenheit beider wissest, dass sie an und für sich nichts vermögen ohne den Geist. Und darum schickt er die Worte voran: "Der Geist ist willig", damit du die beiderseitige Beschaffenheit beider Substanzen erkennst und einsiehst, dass auch bei dir Stärke des Geistes so wie auch Schwäche des Fleisches vorhanden sei, und du schon daraus ersehest, was du thust und mit welchen Mitteln, was du unterwirfst und wem, das Schwache nämlich dem Starken, damit du nicht, wie du jetzt thust, wohl die Schwachheit des Leibes vorschützest, hinsichtlich der Stärke des Geistes aber thust, als wenn es keine gäbe. Er verlangte auch vom Vater, der Kelch des Leidens solle, wenn es möglich wäre, an ihm vorübergehen. Verlange auch du es, aber standhaltend wie er, und es nur verlangend, und lass auch den Zusatz folgen: "Doch nicht, wie ich will, sondern wie du." Wenn du aber fliehst, wie wirst du solches verlangen können? Du gewährst dir dann selbst die Hinwegnahme des Kelches und thust nicht, was der Vater will, sondern was du willst.

9. Alle Lehren wurden nach der Anweisung Gottes von den Aposteln vorgetragen, alle Vorschriften des Evangeliums von ihnen wiederholt. Kannst du mir die Stellen zeigen, wo sie die Vorschrift, von Stadt zu Stadt zu fliehen, wieder erneuert haben? Sie hätten es auch nicht einmal vermocht, etwas ihrem eigenen Thun so Entgegengesetztes zu statuieren und die Flucht zu empfehlen, während sie selbst meistens von Gefängnissen und Inseln aus, wo sie nicht der Flucht, sondern des Bekenntnisses des Namens wegen festgehalten wurden, an die Gemeinden schrieben. "Paulus befiehlt, die Schwachen zu ertragen", 29) natürlich dann doch solche, welche nicht auf der Flucht sind. Denn wie sollten Abwesende ertragen werden können? Etwa in Geduld? Er sagt, man soll sie tragen, wenn sie irgendwie durch ihre Schwachheit im Glauben Anstoss gegeben haben, sie trösten als kleinmütige Leute, nicht aber sie auf die Flucht schicken. |389 Aber auch da, wo er ermahnt, "dem Bösen nicht Raum zu geben, 30) will er nicht zur Flucht raten, sondern Mässigung im Zorne lehren, und wenn er sagt, "man soll die Zeit auskaufen, weil die Tage böse seien", 31) so will er, dass wir nicht durch Flucht, sondern durch einen weisen Wandel Ausstand gewinnen. Im übrigen, wenn er uns leuchten heisst "als Kinder des Lichtes",32) so heisst er uns nicht fliehen und uns verstecken wie Kinder der Finsternis. Er schreibt uns vor, unbeweglich fest zu stehen, also nicht auf unsteter Flucht zu sein, und "gegürtet"; 33) letzteres etwa zur Flucht oder zur Bereitschaft des Evangeliums? Er zeigt uns auch die Waffen. 34) Waffen wären aber für Flüchtige nicht notwendig. Darunter befindet sich auch der Schild, womit Ihr die Pfeile des Teufels auslöschen könnt, also ohne Zweifel dann, wenn Ihr widersteht und alle seine Gewalt herankommen lasst. Sodann lehrt auch Johannes, sein Leben hinzugeben, sogar für die Brüder, also nicht allein für den Herrn. 35) Das kann aber von Ausreissern nicht erfüllt werden. Endlich eingedenk seiner Offenbarung, worin er das Ende des Furchtsamen vernommen hatte, gibt er seinerseits nach seinem Dafürhalten die Ermahnung, die Furcht abzulegen: "Furcht", sagt er, "ist nicht in der Liebe", 36) sondern "die vollkommene Liebe vertreibt die Furcht, weil die Furcht Qual hat" ---- sicher nämlich das Feuer des Pfuhles ----, "wer also fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe" ---- Gottes nämlich. 37) Nun weiter, wer flieht sonst vor der Verfolgung, als wer fürchtet? Wer fürchtet sich, als nur der, welcher nicht liebt.

Vollends, wenn du den Geist 38) befragst, was billigt der Geist mehr in seinem bekannten Ausspruche? Er ermahnt, sozusagen, alle zum Martyrium, keinen zur Flucht. Um auch seiner zu erwähnen, so sagt er: "Du wirst öffentlich beschimpft; das ist dir gut; denn wer nicht vor den Menschen so beschimpft wird, der wird Schimpf vor Gott haben. Werde nicht verwirrt; die Gerechtigkeit ist es, die dich vor Gericht bringt! Warum wolltest du dich schämen, wo du Lob verdienst? Es geschieht Gewalt, wenn du den Blicken der Menschen ausgesetzt bist." Ähnlich heisst es anderswo: "Wünschet nicht in euren Bettchen, bei unglücklichen Entbindungen oder an weichlichen Fiebern von hinnen zu scheiden, sondern im Martyrertum, damit der verherrlicht werde, der für euch gelitten hat."

10. Manche lassen aber die göttlichen Ermahnungen beiseite und wenden lieber den bekannten griechischen Vers weltlicher Weisheit für sich an: "Wer geflohen ist, wird abermals kämpfen." 39) Ja, und ---- er |390 wird vielleicht auch abermals fliehen. Und wann soll er denn einmal siegen? er, der ja besiegt ist, wie seine Flucht beweist. Der ist mir ein schöner Soldat seines Feldherrn, Christus, wer, so vom Apostel vollsändig mit Waffen ausgerüstet, sobald er die Trompete der Verfolgung vernimmt, am Entscheidungstage der Verfolgung davonläuft! Ich will dir nun auch einmal aus der weltlichen Wissenschaft eine Antwort geben. "Ist das Sterben denn etwas so klägliches? 40) Sterben würde man in jedem Falle, als Besiegter oder als Sieger. Denn fällt man wirklich auch als Leugner, so hat man doch mit den Folterqualen gekämpft. Mir ist aber einer, den man beklagen muss, lieber, als einer, dessen man sich zu schämen hat. Besser ist ein Soldat, der im Kampfe verloren geht, 41) als einer, der auf der Flucht unverwundet bleibt. Du fürchtest dich vor einem Menschen, o Christ, du, den die Engel fürchten müssen, da du sie richten wirst; dich müssen die Dämonen fürchten, da du über die Dämonen Gewalt bekommen hast; dich muss die ganze Welt fürchten, denn in dir wird die Welt gerichtet werden. Du hast Christum angezogen, denn du bist auf Christus getauft worden, und fliehest dennoch vor dem Teufel. Du hast Christum, der in dir ist, herabgewürdigt, indem du dich vor dem Teufel zu einem Ausreisser erniedrigtest."

Wenn es aber der Herr ist, vor dem du fliehst, so rückst du damit allen Flüchtlingen ihre vergebliche List vor. Es gab einmal auch einen mutigen Propheten, der vor dem Herrn geflohen und von Joppe nach Tarsus übergesetzt war, als ob er damit das Meer zwischen sich und Gott gebracht hätte. Statt dessen finde ich ihn, ich sage nicht auf dem Meere oder zu Lande, sondern im Bauche eines Ungetüms wieder, wo er während dreier Tage nicht zu sterben vermochte, und auch so nicht einmal Gott zu entfliehen imstande war. Wie viel besser thut der Knecht Gottes, der, obwohl er den Widersacher Gottes fürchtet, doch nicht entflieht, sondern ihn vielmehr verachtet, im Vertrauen nämlich auf den Schutz Gottes, und wenn er sich vor Gott fürchtet, vor seinen Augen umsomehr stand hält und denkt: Der Herr ist es; er ist mächtig; alles gehört ihm; wo ich auch bin, ich bin in seiner Hand; mag er thun, was er will, ich gehe nicht fort; oder wenn er will, dass ich untergehe, so würde er mich auch verderben, wenn ich mich für ihn aufspare; ich will ihn lieber in Misskredit bringen, indem ich seinem Willen entsprechend umkomme, als ihn erzürnen, indem ich nach meinem Willen entweiche. |391 

11. So muss jeder Knecht Gottes denken und handeln, auch wenn er niedern Ranges ist, um einen höhern erlangen zu können, wenn er durch Ertragen der Verfolgung eiue gewisse Stufe erstiegen hat. 42) Allein wenn die Autoritäten, d. h. die Diakonen, Priester und Bischöfe selbst Hieben, wie soll der Laie zum richtigen Verständnis des Ausspruches: "Fliehet von Stadt zu Stadt" gelangen können? Wenn die Feldherren also flieben, wer von den gemeinen Soldaten wird es dann auf sich nehmen, zum Feststehen in der Schlachtreihe zu ermahnen? Ohne Zweifel setzt ein guter Hirt sein Leben für seine Schafe ein; so sagte auch Moses, obwohl Christus, der Herr, noch nicht geoffenbart worden, wohl aber an ihm schon vorgebildet war: "Wenn du dieses Volk ins Verderben stürzest, so verdirb auch mich mit ihm zugleich." 43) Da aber Christus die auf seine Person bezüglichen Vorbilder bestätigt, so ist derjenige ein schlechter Hirt, der beim Anblick des Wolfes Hiebt und ihn seine Herde zerreissen lässt. 44) Ein solcher Hirt wird von dem Ackerhofe fortgejagt werden; es wird ihm der Lohn für seine Sendung mit Beschlag belegt zur Schadloshaltung, ja, es wird von beinern frühern Eigentum Ersatz für den Schaden, den der Herr erlitten, gefordert werden. "Denn wer hat, dem wird gegeben werden; wer aber nicht hat, dem wird auch das, was er zu haben scheint, noch genommen werden." 45) Ähnlich droht Zacharias: "Erhebe dich, Schwert, gegen die Hirten! Vertilget die Schafe, und ich werde meine Hand auf die Hirten legen." 46) Gleiche Drohungen sprechen auch Ezechiel und Jeremias gegen sie aus, weil sie nicht bloss ungerechterweise von den Schafen zu ihren Mahlzeiten nehmen und so sich vielmehr selber weiden, sondern auch, weil sie die Herden sich zerstreuen und allen wilden Tieren des Feldes zur Beute werden lassen, indem kein Hirt da ist. Das geschieht aber niemals in höherem Grade, als wenn während der Verfolgung die Kirche des Klerus beraubt ist.

Wer sodann auch noch den Geist 47) anerkennt, der wird hören, wie er die Flüchtlinge brandmarkt. Wenn es sich nun aber nicht geziemt, dass die Vorsteher der Herde beim Hereinbrechen der Wölfe fliehen, oder vielmehr, wenn dies nicht erlaubt ist ---- denn der, welcher einen solchen Hirten einen schlechten genannt hat, der hat ihn damit verurteilt, alles aber, was verurteilt ist, das ist ohne Zweifel auch zu etwas Unerlaubtem geworden ----, dann also dürfen auch die Vorgesetzten der Kirche in der Verfolgung nicht fliehen. Dürfte übrigens die Herde fliehen, dann brauchte auch der Vorsteher der Herde nicht stehen zu bleiben, da er ohne Grund |392 dastehen würde, um der Herde einen Schutz zu gewähren, dessen sie nicht bedarf, nämlich wegen der Erlaubtheit der Flucht.

12. Da hättest du nun, was den Gegenstand deiner Anfrage betrifft, unsere Ansicht darüber als Antwort und Mahnung, lieber Bruder. Wer aber fragt, ob man in der Verfolgung fliehen dürfe, der muss auch folgende Frage in Betracht ziehen: Wenn man nicht fliehen soll, darf man sich dann wenigstens freikaufen'? Ich will mich also aus freiem Antriebe auch darüber aussprechen und die sichere Behauptung aufstellen, man dürfe sich von der Verfolgung, vor der man, wie feststeht, nicht fliehen soll, auch ebensowenig loskaufen. Der einzige Unterschied dabei würde im Preise bestehen; im übrigen aber wäre das Loskaufen nur eine durch Geld ermöglichte Flucht, wie die Flucht ein Loskaufen ohne Geld ist. Gewiss ist auch dieses nur eine Massregel der Furchtsamkeit. Du kaufst dich von dem frei, was du fürchtest, also fliehest du. Deine Füsse bleiben freilich stehen, aber an die Stelle des Ausreissens tritt dein Geld. Gerade darin, dass du bleibst, besteht dein durch Geld ermöglichtes Fliehen. Dass du aber den Menschen, den Christus durch sein Blut erkauft hat, mit Geld freikaufst, das ist Gottes und seiner Ratschlüsse höchst unwürdig! Er hat um deinetwillen seines Sohnes nicht geschont, und er ist für uns zum Fluche geworden, weil verflucht ist, wer am Holze hängt; er ist wie ein Lamm zur Schlachtbank geführt worden, und wie ein Schaf vor dem, der es schert, hat er seinen Mund nicht geöffnet, sondern seinen Rücken hingehalten den Geisseln, seine Wangen ihren Händen und sein Gesicht nicht abgewendet vor ihrem Auswurf; unter die Missethäter ist er gerechnet und zum Tode hingegeben worden, zum Tode aber am Kreuze. Die Sonne gab zu unserer Loskaufung einen Tag zu.48) In der Unterwelt erfolgt unsere Wiederauslieferung an unsern wahren Herrn 49) und der Kontrakt darüber wird im Himmel geschlossen. Die ewigen Pforten sind geöffnet, damit der König der Herrlichkeit eintrete, der Herr der Mächte, der den Menschen von der Welt, richtiger aus der Unterwelt für den Himmel erworben hat. Wer wollte nun gegen ihn ankämpfen oder vielmehr die Ware entwerten, die er so teuer erkauft hat, nämlich um den Preis seines Blutes, und sie bemäkeln!?

Da thäte man wirklich schon besser, zu fliehen, als seinen Wert herabzusetzen; denn der Mensch würde dann in seinen eigenen Augen nicht so viel wert sein als in denen des Herrn. Und zwar hat der Herr den Menschen zurückgekauft von Mächten, welche die Welt halten, von den |393 Geistern der Bosheit, von den Finsternissen dieser Welt, vom ewigen Gerichte, vom immerwährenden Tode, du aber feilschest mit einem Denunzianten, einem Häscher oder irgend einem Spitzbuben von Präsidenten, wie man zu sagen pflegt, zwischen Rock und Wams, als scheute der, den Christus vor der ganzen Welt losgekauft oder, richtiger noch, freigelassen hat, die Öffentlichkeit. Ihn also, der ein freier Mann ist, wolltest du um Geldeswert taxieren und ihn für einen Kaufpreis besitzen?! Das ginge nur, wenn der Preis derselbe wäre, den der Herr dafür gegeben hat, nämlich sein Blut. Warum also kaufst du dir Christus von einem Menschen, in dem Christus wohnt? Etwas anderes war es auch nicht, was Simon zu thun versuchte, da er den Aposteln Geld anbot für den Geist Christi. Es wird also auch der, welcher sich loskauft und damit den Geist Christi abkauft, die Worte zu hören bekommen: "Dein Geld sei dir zum Verderben, da du die Gnade Gottes um einen Kaufpreis zu erlangen geglaubt hast." 50)

Aber wer will ihn denn als einen Abtrünnigen verachten? ---- So? was sagt der Denunziant? Gib mir Geld! Sicherlich dann doch, damit er ihn nicht angebe; denn etwas anderes hat er nicht zu verkaufen, als das, was er für deinen Kaufpreis thun will. Wenn du ihm denselben gibst, so hast du dabei jedenfalls den Wunsch, nicht angezeigt zu werden. Hättest du denn ohne Anzeige überführt werden können? Nein. Also folglich, wenn du nicht angezeigt sein willst, so willst du nicht überführt sein; in diesem Nichtwollen aber lag eine Ableugnung dessen, wovon du nicht überführt sein wolltest. ---- Nein, sagst du da, im Gegenteil, wenn ich nicht überführt sein will von dem, was ich bin, so habe ich bekannt, das zu sein, wovon ich nicht überführt sein will, nämlich ein Christ. ---- Du wärest wohl gar noch imstande, zu behaupten, als Märtyrer beständig Christum zur Schau getragen zu haben? 51) Wer sich loskauft, trägt ihn nicht zur Schau. Du hast ihn höchstens vor einer einzigen Person zur Schau getragen, vor einer viel grössern Zahl hast du ihn verleugnet, indem du nicht vor ihnen bekennen wolltest. Das Faktum der Erhaltung deines Lebens wird gerade das Urteil abgeben: der Mensch ist verloren gegangen, eben indem er entwich. Es geht also verloren, wer es vorgezogen hat, zu entkommen. Die Weigerung, Märtyrer zu werden, ist eine Verleugnung.

Der Christ wollte sich durch Geld retten und dazu sein Geld besitzen, um nicht leiden zu müssen, so dass er sich also seines Reichtums gegen Gott bediente? Christus hingegen war reich an Blut für ihn. "Glücklich sind also die Armen", heisst es, "denn ihrer ist das Himmelreich", deren einziger Schatz ihr Leben ist! Wenn wir nicht beiden, Gott und dem |394 Mammon, zu dienen imstande sind, können wir uns dann wohl von beiden, von Gott und dem Mammon, loskaufen? Nein, denn wer würde dem Mammon wohl mehr dienen, als wer durch den Mammon losgekauft ist?

Und endlich, auf welche Beispiele wirst du zu gunsten des Loskaufs von der Anzeige dich berufen? Wann haben die Apostel, 52) von Verfolgungen beunruhigt, sich durch Geld befreit? Es fehlte ihnen daran aber durchaus nicht, infolge des Verkaufs der Besitztümer, deren Erlös zu ihren Füssen niedergelegt worden war, da gewiss viele reiche Männer und Frauen, von welchen sie sogar mit Bequemlichkeiten versehen wurden, gläubig waren. Wann kam ihnen ein Onesiphorus, Aquila oder Stephanus 53) auf diese Weise in der Verfolgung zu Hilfe? Als der Präsident Felix für den Paulus von seinen Schülern Geld zu erhalten hoffte, worüber er sogar im geheimen selbst mit ihm verhandelte, so bezahlte es ihm Paulus weder selbst, noch seine Schüler für ihn. Es waren in jedem Fall die Schüler, welche weinten, weil er darauf bestand, nach Jerusalem zu gehen, weil er die ihm dort vorausgesagten Verfolgungen nicht vermied, und welche zuletzt sagten: "Es geschehe dein Wille." 54) Was für ein Wille war das denn? Natürlich nur der, um des Namens des Herrn willen zu leiden, nicht etwa sich loszukaufen. Denn wie Christus sein Leben für uns einsetzte, so müssen wir es auch machen, und nicht bloss um seinetwillen, sondern auch für unsere Brüder um seinetwillen. Das lehrt Johannes und spricht es aus; man solle für seine Brüder sterben, nicht aber für sie bezahlen. Es macht keinen Unterschied, ob man einen Christen nicht loskaufen oder nicht kaufen soll. Und folglich ist es so der Wille Gottes.

Blicke hin auf den Zustand der Reiche und Kaisertümer, der jedenfalls von Gott, "in dessen Hand das Herz des Königs ist", so angeordnet ist! Es werden jeden Tag so viele Massregeln zur Vergrösserung der Staatseinnahmen vorgesehen, die Census, Zölle, Gewerbesteuern und Tribute, und doch hat man bis jetzt noch niemals hinsichtlich der Christen etwas derartiges in Aussicht genommen, ihren Kopf und ihr Religionsbekenntnis unter irgend eine Loskaufssumme zu bringen, obwohl doch von einer so grossen Menschenmenge, die jeder kennt, ein ungeheurer Ertrag erzielt werden könnte. Mit Blut erkauft, mit Blut bezahlt, dürfen wir kein Geld für unsere Häupter geben, weil unser Haupt Christus ist. Christus darf nicht in Geld geschätzt werden. Und wie könnte es denn auch zur Ehre Gottes Martyrier geben, wenn wir Duldung unserer |395 Religionsgesellschaft durch eine Abgabe erkauften? Wer Duldung um Geld erhandelt, der widerstrebt der göttlichen Anordnung.

Da uns also der Kaiser in dieser Weise nichts auferlegt hat, wie einer steuerbaren Klasse, und uns auch nicht einmal etwas derartiges auferlegt werden kann, weil der Antichrist schon vor der Thür ist und nach dem Blute, nicht nach dem Gelde der Christen dürstet, wie kann man 55) mir da vorhalten, es stehe geschrieben: "Gib dem Kaiser, was des Kaisers ist." Der Soldat, der Angeber oder Privatfeind, der mich in prellerhafter Absicht mit der Drohung, mich anzuzeigen, einschüchtert, fordert nichts für den Kaiser; er handelt ihm vielmehr entgegen, indem er den Christen, der sonst den menschlichen Gesetzen verfallen wäre, um Geld frei lässt. Der Denar, den ich dem Kaiser schulde, der ihm gehört, um den es sich dort 56) handelte, der ist ein ganz anderer, es ist der Denar des Tributes, den die Tributpflichtigen, nicht die Freien schuldig sind. Oder wie soll ich denn Gott geben, was Gottes ist? Natürlich ganz in entsprechender Weise, sein Bild und die Münze, die seinen Namen trägt, d. h. den Menschen, den Christen? Was aber bin ich Gott in der Weise, wie dem Kaiser den Denar, schuldig, wenn nicht Blut, welches sein Sohn für mich vergossen hat. Wenn ich nun Gott meine Person und mein Blut schuldig bin, jetzt aber die Zeit da ist, wo man, was ich Gott schuldig bin, von mir fordert, dann begehe ich jedenfalls einen Betrug, wenn ich mich bemühe, an der Bezahlung meiner Schuld vorbeizukommen. Wäre das etwa die richtige Beobachtung der Vorschrift, wenn ich dem Kaiser gebe, was des Kaisers ist, aber Gott, was ihm gebührt, verweigere?

13. Ich will jedem, der mich bittet, geben als Almosen, nicht aber infolge einer prellerhaften Einschüchterung. Wie heisst's? ---- Dem, der mich bittet? Nun aber bittet der nicht, der mich einschüchtert. Wer droht, wenn er nichts bekommt, der fordert nicht, sondern erpresst. Wer nicht in der Eigenschaft eines Bemitleidenswerten kommt, sondern wie ein Mensch, der Furcht einflössen will, der erwartet kein Almosen. Ich will also aus Mitleid, nicht aus Furchtsamkeit dort meine Gaben reichen, wo der Empfänger Gott ehrt und mir mit dem Gotteslohn vergilt, nicht da, wo umgekehrt er eine Wohlthat erwiesen zu haben glaubt und auf seine Beute blickend, sagt: "Es ist von wegen des Vergehens." ---- Ich soll ja aber auch den Feind beschwichtigen.3) ---- Jawohl, aber die Feindschaften haben |396 auch andere Titel. Es heisst nicht, ich soll den Angeber, Verfolger oder Einschüchterer beschwichtigen. Denn was diese angeht, so sammle ich vielmehr Kohlen auf ihr Haupt, wenn ich mich nicht loskaufe. Sodann heisst es: "Wer dir den Rock genommen hat, dem lass auch noch den Mantel." 57) Das bezieht sich auf den, der uns unsere Habe, nicht auf den, der uns den Glauben entreissen will. Gern will ich den Mantel einem, der mich nicht mit Anzeigen bedroht, überlassen. Wenn er mich aber bedroht, dann werde ich sogar meinen Rock noch von ihm zurückfordern. Jede Lehre des Herrn hat bereits jetzt ihre specielle Ursachen, Regeln und Grenzen; sie gehen nicht aufs unbestimmte und nicht auf alles. Daher heisst er jedem, der bittet, geben; er selbst gibt aber denen, die ihn um ein Zeichen bitten, keines. Sonst, wenn du allen, die dich bitten, ohne Unterschied gibst, so kommst du mir vor, wie einer, der einem Fieberkranken Wein, oder gar einem, der den Tod sucht, Gift oder ein Schwert gibt, wenn er es verlangt. Wie aber das Wort: "Machet Euch Freunde durch den Mammon" zu verstehen sei, zeigt dir die vorausgehende Parabel. Der Ausspruch ist an das jüdische Volk gerichtet; dasselbe hätte, da es die ihm vom Herrn auferlegte Rechenschaft schlecht bestanden, darauf bedacht sein sollen, sich aus den Mammonsdienern, ---- das waren aber wir ---- eher Freunde als Feinde zu machen, und uns von unsern Sünden, deren wir vor Gott schuldig waren, zu erleichtern. Hätten sie uns davon 58) nach der Absicht des Herrn mitgeteilt, dann hätten sie, wenn ihnen die Gnade zu mangeln begann, zu unserer Treue ihre Zuflucht nehmen und in die ewigen Wohnungen aufgenommen werden können. Indes glaube für jetzt, dass die richtige Erklärung jener Parabel und Sentenz eine andere sei, da du wohl weisst, wie unwahrscheinlich es is, dass unsere Einschüchterer durch den Mammon unsere Freunde werden und uns alsdann in die ewigen Wohnungen aufnehmen. Doch was wird ein furchtsamer Sinn nicht alles glauben machen! Als wenn die h. Schrift zu fliehen erlaubte und sich loszukaufen vorschriebe! Es ist ihnen schliesslich noch zu wenig, wenn der eine oder andere auf diese Weise befreit wird. Ganze Gemeinden in Masse haben sich eine Abgabe auferlegt. Ich weiss nicht, ob man es bedauern oder ob man sich darüber schämen soll, wenn in den Matrikeln der Polizeisoldaten 59) und geheimen Agenten zwischen Kneipwirten, Badedieben, Hazardspielern und Kupplern 60) auch die Christen als ihnen steuerbar aufgezählt sind. Dies ist die Mode, die sie |397 für ihren Episkopat, vorsichtiger als die Apostel, 61) eingeführt haben, damit sie ihrer Herrschaft auch hübsch mit Ruhe und Sicherheit gemessen können, unter dem Vorwande der Hirtensorge. Denn wohlgemerkt, das ist der Friede, den Christus bei seiner Rückkehr zum Vater hinterliess, der, den man sich durch Neujahrstrinkgelder 62) von den Soldaten erkaufen muss.

14. "Allein wie wird man es möglich machen, sich zu versammeln, heisst es da; wie sollen wir die Feste des Herrn feiern"? ---- Natürlich gerade so wie die Apostel, deren Sicherheit auf ihrem Glauben, nicht auf ihrem Gelde beruhte; wenn dieser Glaube einen Berg versetzen kann, dann noch viel mehr einen Soldaten! Deine Sicherheit beruhe auf deiner Weisheit, nicht auf einer Kaufsumme! Denn wenn du die Soldaten der verschiedenen Chargen bestochen hast, so wirst du damit noch immer nicht vor dem Pöbel sicher sein. Also Glaube und Weisheit sind einzig und allein zu deinem Schütze notwendig. Willst du diese nicht gelten lassen, so kannst du möglicherweise auch noch um deine Loskaufsumme kommen. Bedienst du dich ihrer aber, so wirst du gar nicht begehren, dich loszukaufen. Kann man sich am Tage nicht versammeln, so hat man ja die Nacht, die durch das Licht Christi erhellt wird. ---- Du kannst nicht bei den einzelnen umhergehen. ---- Dann soll deine Kirche dir aus dreien bestehen. Besser ist es, du siehst die Menge deiner Genossen eine Zeitlang nicht, als dass du sie zu Sklaven machst. 63) Bewahre die Braut Christi als Jungfrau. Niemand soll an ihr etwas verdienen.

Das wird dir vielleicht hart und unerträglich erscheinen, mein Bruder; allein lies nach, dass Gott gesagt hat: "Wer es fassen kann, fasse es," 64) d. h. wer es nicht fassen kann, der mache, dass er fort kommt. Niemand, der sich zu leiden fürchtet, kann dem angehören, der gelitten hat. Wer sich dagegen vor dem Leiden nicht fürchtet, der wird vollkommen sein in der Liebe, natürlich in der Liebe Gottes. "Denn die vollkommene Liebe vertreibt die Furcht." 65) Und darum sind "viele berufen, wenige auserwählt". 66) Es wird nicht gefragt, ob man auf dem breiten Wege nachzufolgen bereit sei, sondern auf dem schmalen. 67)

Und darum ist denn auch der Paraklet notwendig, der in alle Wahrheit einführt und zu allem Dulden ermahnt. Diejenigen, welche ihn aufnehmen, wissen nichts von Flucht und Loskaufen in der Verfolgung, da sie den besitzen, der an unser Statt antworten wird beim Verhör und ebenso auch helfen wird beim Leiden.


Anmerkungen

1. 1) Tertullian meint die Stelle Matth. 10, 23; Wenn sie Euch aber in einer Stadt verfolgen, so fliehet in eine andere.

2. 2) Perscribere; denn praescribere gäbe einen verkehrten Sinn.

3. 1) Wovon der Apostel spricht. Apok. 3, 12.

4. 1) Gemäss den Worten des Apostels I. Kor. 1, 27. 

5.  2) Job 1, 12. 

6. 3) Job 2, 6. 

7. 4) Luk. 22, 31.

8. 1) I. Kön. 16, 14.

9. 1) Is. 45, 7. 

10. 2) V. Mos. 32, 39. 

11.  3) Zach. 16, 9. 

12.  4) Eph. 6, 16.

13. 1) Eine bedenkliche Verwechslung der Begriffe. 

14.  2) Ein Afrikaner, Genosse des Maximus und Silvanus.

15. 1) Matth. 10, 23. 

16.  2) Matth. 10, 5, 6. Diese Sentenz geht, aber, richtiger gesagt, der obigen vorher.

17. 1) Matth. 10, 23. 

18. 2) Apostelgesch. 13, 46. 

19.  3) Ps. 18, 4. 

20.  4) Apostelgesch. 21, 13.

21. 1) Matth. 10, 31. 

22. 2) Mark. 8, 38. Luk. 19. 26. 

23.  3) Matth. 5, 11. 

24. 4) Matth. 10, 22. 

25.  5) Matth. 10, 28. 

26.  6) Luk. 14, 26. 

27.  7) Apok. 21, 8.

28. 1) Als bei den andern Menschen.

29.  2) Rom. 15, 1.

30. 1) Eph. 4, 27. 

31. 2) Eph. 5, 16. 

32.  3) Eph. 5, 8. 

33. 4) Eph. 6, 13, 14. 

34. 5) Ebend. 

35. 6) I. Joh. 3, 16. 

36.  7) I. Joh. 1, 18. 

37.  8) Ebend. 

38.  9) Den Paraklet des Montanus. 

39.  10) Ἀνὴρ ὁ φεύγων καὶ πάλιν μαχήσεται sagte Demosthenes, als er in der Schlacht bei Chäronea floh.

40. 1) Vers des Virgil, An. 12, 646. 

41.  2) Praelio amissus. Die andere Losart pilo transmissus scheint mir nicht in den Zusammenhang zu passen. Eine dritte Lesart ist pilo missus. Der Zusammenhang verlangt: Wer den Kampf halb mitmacht, ist besser, als wer ihm durch die Flucht ausweicht.

42. 1) Die in der Verfolgung Bewährten, die sogenannten Konfessoren, wurden gern zu Klerikern genommen. Vgl. Cypr. Ep. 38-40. 

43.  2) II. Mos. 32, 32. 

44.  3) Joh. 10, 12. 

45. 4) Matth. 13, 12; 25, 29. 

46.  5) Zachar. 8, 7

47.  6) Den montanistischen Paraklet.

48. 1) Vermutlich meint Tertullian dies so, dass durch das Verschwinden der Sonne beim Tode des Herrn und deren nachheriges Wiedererscheinen aus einem Tage zwei geworden seien. 

49.  2) Gemeint ist das Hinabsteigen Christi in die Unterwelt.

50. 1) Apostelg. 8, 20. 

51.  2) Die Änderung, welche sich Öhler an dieser Stelle erlaubt, ist zu verwerfen.

52. 1) Mit dein tractantes ist nichts anzufangen und die Erläuterung Öhlers führt nicht weiter. Nach meiner Ansicht liegt offenbar ein Les- oder Schreibfehler vor und muss ein Wort hier gestanden haben, welches sich an das vorausgegangene traditiones anlehnte, also etwa: traditi et persecutionibus agitati. 

53.  2) Es muss ganz gewiss heissen: Stephanus, vgl. 1. Kor. 1, 16. 

54.  3) Apostelg. 21, 13.

55. 1) Ich folge der Lesart des Junius: potes. 

56.  2) Matth. 22, 21: ---- 3) Ich habe dem Zusammenhange nach ein passendes Wort ergänzt. Der Text hat Irascar et inimicum, was keinen Sinn gibt. Unter den vorhandenen Emendationen befriedigt mich keine. Ich glaube, die Stelle muss nach Matth. 5, 39, 40 oder Luk. 6, 20 emendiert werden, etwa Placabo oder dergleichen. Als die beste unter den vorhandenen Emendationen erscheint noch mir die von Ursinus: Pascam.

57. 1) Matth. 5, 40. 

58.  2) Ich vermute, dass statt id zu lesen sei inde.  

59. 3) Beneficiarii, Soldaten, die von niedern Diensten befreit waren, Gefreite, und die dann zu allerlei Vertrauensdiensten gebraucht wurden. 

60.  4) Lauter Leute, die irgend ein unerlaubtes Gewerbe trieben. Tabernarii, Inhaber von schlechten Kneipen; die janei sind noch unerklärt, vielleicht verschrieben für ganeones oder ganei.

61. 1) Apostoli providentius gibt keinen Sinn. Die Stelle ist ironisch, und es muss ohne Zweifel heissen: apostolis providentius.

62.  2) Eigentlich Präsente, Trinkgelder, die an den Saturnalien gegeben wurden. Da diese an den Jahresschluss fallen, so habe ich mir obiges quid pro quo erlaubt. 

63.  3) Durch die Loskaufssumme. 

64.  4) Matth. 19, 12. 

65.  5) I. Joh. 4, 18. 

66.  6) Matth. 22, 14. 

67.  7) Matth. 7, 13. Luk. 13. 24.


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Übersetzt von Heinrich Kellner, 1882.  Übertragen durch Roger Pearse, 2005.

Der griechischer Text wird mit mit einem Unicode Schriftkegel angezeigt.


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