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Gegen Marcion. II

207 n. Chr.

[Übersetzt von Dr. K. A. Heinrich Kellner]

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Inhalt:

II. Buch. 

1. Cap. Nachdem Marcions sog. Gott der reinen Güte beseitigt ist, bleibt kein anderer Gott mehr übrig als der Weltschöpfer, der nun ins Auge zu, fassen ist.

2. Cap. Gott vollkommen zu erkennen, übersteigt allerdings die Fähigkeiten des Menschen, und daraus sind die Schwierigkeiten und Unvollkommenheilen solcher Erörterungen wie die gegenwärtige zu erklären.

3. Cap. Dass sich Gott durch geschaffene Werke offenbarte, ist an sieh schon Güte. Die Güte ist eine ewige Eigenschaft Gottes.

4. Cap. Gottes Güte schuf zuerst einen Wohnsitz für die Menschen, dann diese selber und gab ihnen aus Güte ein Gesetz.

5. Cap. Die Marcioniten wenden ein, das faktische Vorhandensein des Bösen in der Welt vertrage sich nicht mit der Güte, dem Vorherwissen und der Allmacht Gottes.

6. Cap. Der freie Wille des Menschen in seinem Verhalten gegen Gut und Böse.

7. Cap. Gott konnte den Missbrauch der Willensfreiheit nicht hindern, wenn er sie dem Menschen einmal verliehen hatte.

8. Cap. Gott hat den Menschen zum sittlich guten Leben befähigt und bestimmt. Das folgt daraus, dass letzterer noch jetzt durch den Gebrauch seiner Willensfreiheit zu seinem Ziele gelangt.

9. Cap. Wie es zugeht, dass die Seele, obwohl ein Hauch und Ebenbild Gottes, doch sündigen konnte.

10. Cap. Die Einwirkung des Teufels beim Sündenfall des Menschen ändert an der Sache nichts, da dieser ebenfalls die Willensfreiheit besass, sondern sie gestattet Gott, seinen Erlösungsratschluss nur um so herrlicher zu entfalten.

11. Cap. Absurdität der marcionitischen Auffassung vom Sündenfall und dem darauf folgenden Richteramte Gottes. Gerechtigkeit ist eine Schutzwehr und notwendige Eigenschaft der Güte.

12. Cap. Daher sind Gerechtigkeit und Güte stets bei einander.

13. Cap. Die Furcht vor Gottes Gerechtigkeit fördert das Gute in der Menschenwelt.

14. Cap. Widerlegung eines aus Is. 45, 7 entnommenen Einwandes, die Strafen Gottes betreffend.

15. Cap. Warum Gott im alten Testament drohte, die Sünden der Väter an den Nachkommen zu strafen?

16. Cap. Wenn im alten Testament Gott zuweilen Eigenschaften und Affekte zugeschrieben werden, die der Mensch auch hat, so muss man nicht glauben, dass die mit diesen Eigenschaften verbundenenen Unvollkommen/leiten, die sich beim Menschen finden, auch auf Gott zu übertragen seien. Sie sind den betreffenden Eigenschaften keineswegs wesentlich.

17. Cap. Güte und Strenge vertragen sieh sehr gut als Eigenschaften desselben Gottes, wie denn Jehova der angeblich bloss gerechte Gott des alten Testamentes auch viele Beweise seiner Güte gegeben hat.

18. Cap. Über das Wiedervergeltungsrecht, die Speisegesetze und den Kultus des alten Bundes.

19. Cap. Einige Lehren und Aussprüche Jehovas aus dem alten Testament, worin sich seine Liebe und Güte zeigt.

20. Cap. Über den Diebstahl, den Jehova den Hebräern an den Ägyptern auszuüben befahl.

21. Cap. Über den Vorwurf, dass er selber sein eigenes Sabbalsgebot übertreten habe.

22. Cap. Die scheinbare Übertretung des Verbotes der Bildnisse, die in der Anbringung von Engelgestalten auf der Bundeslade liegen soll, und die Zurückweisung von Opfern der Juden, die doch geboten waren.

23. Cap. Ob Jehova einzelne Menschen ungleich und mit Wankelmut behandelt habe?

24. Cap. Wie der Ausdruck "es reuete Gott" zu verstehen sei?

25. Cap. Ob die im alten Testament vorkommenden Fragen Gottes als ein Beweis seines Nichtwissens anzusehen sind?

26. Cap. Über das Schwören Gottes und die nach der Anbetung des Kalbes dem Volke angedrohte Vernichtung.

27. Cap. Über die von den Marcioniten Jehova zum Vorwurf gemachten menschlichen Schwächen.

28. Cap. Die Antithesen, die Marcion gegen Jehova aufgestellt hat, werden umgekehrt und gegen den Gott Marcions angewendet.

29. Cap. Antithesen, deren Urheber Gott ist, finden sich genug in der Schöpfung, warum nicht auch sonst?

II. Buch.

1. Die dargebotene Gelegenheit, diese Schrift ---- über deren Schicksale wir in der Einleitung zum ersten Buche gesprochen haben ---- neu zu bearbeiten, hat uns auch den Vorteil gebracht, bei abermaliger Behandlung der beiden Götter Marcions für jeden eine besondere Überschrift und ein besonderes Buch geben zu können, entsprechend der Einteilung des Gegenstandes, wonach wir behaupten, dass der eine dieser beiden Götter gar nicht existiere, dem andern dagegen die Gottheit in würdiger Weise beigelegt werde. So hat es nämlich dem Manne aus Pontus beliebt, den einen neu einzuführen, den andern auszuschliessen. Denn es wäre ihm nicht möglich gewesen, die Lüge aufrecht zu erhalten, ohne die Wahrheit zu zerstören. Er musste erst anderes zerstören, um sein beabsichtigtes Gebäude aufrichten zu können. So baut man, wenn man die Erfordernisse dazu nicht selbst besitzt.

Es war aber nur das notwendig ins Reine zu bringen, dass jener Gott, den er dem Weltschöpfer überordnet, gar nicht existiere; denn nach Beseitigung des falschen Gottes brauchte, da zuverlässige Grundsätze nur eine einzige und vollkommene Gottheit zulassen, über den wahren Gott gar keine Frage mehr erhoben zu werden. Je gesicherter seine Existenz auch aus dem Grunde war, weil die Nichtexistenz des andern erwiesen ist, um so dringender wäre die Pflicht gewesen, an ihm, wer er auch immer sein mag, ohne Streitfrage festzuhalten, ihn anzubeten, ohne über ihn zu urteilen, ihn sich geneigt zu machen, aber nicht über ihn zu grübeln, besser noch, ihn wegen seiner Strenge zu fürchten. Denn was gab es etwa noch Notwendigeres für den Menschen, als sich um den wahren Gott zu bekümmern, dem er, weil es keinen andern Gott gibt, sozusagen verfallen ist?

2. Aber nun muss sich der allmächtige Gott, der Herr und Schöpfer des Weltall, gefallen lassen, dass man über ihn verhandelt. Ich halte ihn deshalb für so gross, weil er von Anbeginn an bekannt ist, weil er niemals verborgen war, sondern stets in die Erscheinung trat, nicht erst von Tiberius', sondern sogar von Romulus' Zeiten an. Nur den Häretikern war er nicht bekannt, diese machen sich jetzt mit ihm zu schaffen und glauben deshalb einen andern Gott annehmen zu müssen, weil sie den, dessen Existenz feststeht, mehr im stande sind zu schmähen als zu leugnen. Dabei stellen sich einige nach ihrem Gutdünken Gott so vor, wie ein Blinder oder Triefäugiger geneigt ist, das Dasein einer anderen, milderen und ihm zuträglicheren Sonne deshalb vorauszusetzen, weil er die, welche er sehen könnte, nicht sieht. Es gibt nur eine Sonne, o Mensch, diejenige, wodurch diese Welt nach bestimmten Gesetzen erleuchtet wird; auch wenn du es nicht glaubst, ist sie doch höchst trefflich und nützlich; auch wenn sie dir zu grell und nachteilig, ja sogar wenn sie dir unrein und schädlich wäre, ist sie doch ihrer Bestimmung entsprechend. Wenn du sie nicht anzublicken vermagst, so würdest du auch die Strahlen einer andern Sonne, wenn es eine solche gäbe, nicht zu ertragen im stände sein, da sie jedenfalls dann noch grösser wäre. Denn wenn du dem niedern Gott gegenüber schon blind bist, wie wird es erst dem höhern gegenüber mit dir stehen? Ja noch mehr, es ist sogar eine Schonung für dich bei deiner Schwäche und du kommst nicht in Gefahr, wenn du eine ausgemachte, unbezweifelte und eben darum hinreichend erkannte Gottheit hast, indem du zuvörderst wenigstens ihr Dasein erkennst, da du ja doch nichts von ihr wissen kannst, als insoweit sie es selbst gewollt hat.

Allein du leugnest nicht, dass er Gott sei, weil du ihn kennst, sondern hast Bedenklichkeiten, wie einer, der ihn nicht kennt, ja du erhebst sogar Anschuldigungen gegen ihn, wie einer, der ihn kennt, während du doch, wenn du ihn wirklich kenntest, keine Anklagen, ja nicht einmal Bedenklichkeiten gegen ihn erheben würdest. Du lässest ihm seinen Namen, sprichst ihm aber, was das Wesen seines Namens ist, seine Grosse, infolge deren ihm der Name Gott zukommt, ab, und willst sie nicht in ihrer Grösse anerkennen. Wenn der Mensch sie nach allen Seiten zu erkennen imstande wäre, so würde sie eben keine rechte Grosse sein. Isaias, der, schon damals ein Apostel, die Gesinnung der Häretiker vorhersah, sagt: "Wer hat den Sinn des Herrn erforscht, oder wer war sein Ratgeber? Oder wen hat er um Rat gefragt, oder wer hat ihm den Weg der Einsicht und der Wissenschaft gezeigt?" 1) Mit ihm stimmt recht gut der Apostel überein: "O Tiefe des Reichtums und der Weisheit Gottes, wie unerforschlich sind seine Gerichte", natürlich denn doch die Gerichte Gottes als Richter "und wie unergründlich sind seine Wege",2) nämlich die Wege seiner Einsicht und Wissenschaft. Diese hat ihm niemand gewiesen, ausser etwa unsere bekannten Censoren der Gottheit, welche sagen: So hätte es Gott nicht machen dürfen, er hätte es vielmehr so machen müssen. Als wenn irgend jemand ausser dem Geiste Gottes erkennen könnte, was in Gott ist? Dagegen dünken sich die vom Geiste der Welt erfüllten Menschen, welche nicht in der Unweisheit Gottes3) durch die Weisheit Gott erkennen wollen, erfahrener als Gott; denn wie die Weisheit dieser Welt Thorheit ist bei Gott, so erscheint auch die Weisheit Gottes als Thorheit vor der Welt. Wir aber wissen, was Thorheit ist an Gott, das ist weiser als die Menschen, und was schwach ist bei Gott, ist stärker als die Menschen. Darum ist Gott dann am meisten gross, wenn er dem Menschen als klein erscheint, dann am meisten gut, wenn er vor den Menschen als nicht gut dasteht, und dann erst recht der Einzige, wenn ihn die Menschen für zwei oder mehrfach halten.

Wenn nun der bloss psychische Mensch, der nicht annimmt, was des Geistes ist, von Anbeginn an das Gesetz Gottes für Thorheit hielt, indem er es zu befolgen verschmähte, und wenn ihm wegen seines Unglaubens auch das, was er zu besitzen schien, genommen wurde, die Gnade des Paradieses und die Freundschaft Gottes, mittels deren er alles Göttliche, wenn er gehorsam geblieben wäre, hätte erkennen können, so ist es kein Wunder, wenn er, in seinen Stoff zurückgestossen, zur Zwangsarbeit des Landbaues angehalten wurde und infolge dieser der Erde zugewandten Arbeit aus der Erde den Geist der Welt einatmete und selbigen seiner ganzen Nachkommenschaft vererbte, die ganz psychisch und häretisch ist und was Gottes ist, von sich stösst. Oder hat man etwa Bedenken, die Sünde Adams eine Häresie zu nennen, da er sie doch beging, indem er seiner Willenseinung vor der Gottes den Vorzug gab.4r) Freilich hat Adam niemals seinem Bildner gesagt: "Du hast mich nicht mit Weisheit gebildet." Er gestand ein, verführt zu sein, und verschwieg seine Verführerin nicht. Er war als Häretiker noch nicht gerieben genug. Er war ungehorsam gegen den Schöpfer, lästerte ihn aber nicht und tadelte auch seinen Urheber nicht, den er von seinem Ursprung an gut und sehr gut gefunden und den er selber womöglich zum Richter gemacht hatte von Anbeginn an.

3. Wenn wir also in die Untersuchung über den bekannt gewordenen Gott eintreten und es sich darum handelt, in welcher Weise er bekannt geworden sei, so müssen wir mit seinen Werken, welche älter sind als der Mensch, den Anfang machen. Dann werden wir sofort seine Güte wahrnehmen, darnach zugleich mit ihm selbst auch ihren Bestand feststellen und normieren und dies wird uns einen Begriff davon geben und erkennen lassen, wie die übrige Ordnung der Dinge verläuft. Wollen die Schüler des Marcion aber die Güte unseres Gottes prüfen, so sind sie imstande auch deren Gottes Würdigkeit zu erkennen an denselben Titeln, woran wir bei ihrem Gott das Gegenteil gezeigt haben. Da findet er denn gerade das, was ihm als Mittel dient, Anerkennung zu erlangen, nicht bei dem andern vor, sondern hat es sich aus dem, was ihm gehört, zubereitet.

So war denn also die erste Bethätigung der Güte des Schöpfers die: er wollte nicht, dass seine Gottheit ewig verborgen bleiben sollte, d. h. er wollte, dass etwas existiere, von welchem er als Gott erkannt werden könnte. Denn es kann kein grösseres Gut geben, als die Erkenntnis und den Genuss Gottes. Wenn es auch noch nicht erkennbar war, dass es ein solches Gut sei, weil es noch kein Wesen gab, dem es hätte ersichtlich sein können, so wusste Gott doch vorher, wie viel Gutes ersichtlich werden würde, und somit Hess er seine höchste Güte walten, welche das Hervortreten des Guten, was erscheinen sollte, bewirkt. Natürlich war sie keine plötzlich entstehende von bloss gelegentlicher Güte, nicht durch ein Drittes ins Leben gerufen und nicht erst sozusagen von dem Augenblick an zu datieren, wo sie zu wirken anfing. Denn wenn sie selbst den Anfangspunkt festsetzte, von wo an sie zu wirken begann, so hatte sie selbst ihren Anfang nicht erst im Augenblicke des Schaffens.

Wenn sie es aber war, die den Anfang machte, so hat auch das Zeitverhältniss ihr seine Entstehung zu verdanken, da zu dessen Unterscheidung und Markierung die Gestirne und Himmelslichter angeordnet sind. "Sie werden sein", heisst es, "zu Zeiten, zu Monaten und Tagen." Also für sie, welche die Zeit hervorrief, gab es keine Zeit vor der Zeit, und was den Anfang feststellte, hatte keinen Anfang vor dem Anfang. Da also die Güte sowohl des Anfangs als des Zeitmasses entbehrt, so wird ihr ein unendliches und unbegrenztes Dasein beizulegen sein. Sie kann nicht für plötzlich entstanden, zufällig oder erst hervorgerufen gehalten werden, da es für sie nichts gibt, von wo an sie gerechnet werden könnte, d. h. nichts, was der Zeit ähnlich wäre, sondern sie ist als ewig Gott angeboren und perpetuierlich anzusehen. Darum ist sie auch Gottes würdig und macht schon damit allein die Güte des Gottes Marcions zu Schanden, welche bekanntlich später ist, ich sage nicht ---- als ihr eigener Anfangsmoment und Zeitverlauf, sondern sogar später als die Schlechtigkeit des Demiurgen, wofern nämlich die Schlechtigkeit von der Güte in Dienst genommen werden konnte.

4. Da also die Güte Gottes selbst Vorsorge getroffen hat, dass der Mensch zur Erkenntnis Gottes gelange, so fügt sie diesem ihrem Verdienste auch noch das hinzu, dass sie noch vorher auf eine Wohnung für den Menschen bedacht war, die nachmals ein sehr grosser Bau, und später ein noch grösserer werden sollte. So sollte der Mensch im Kleinen seine Vorschule für das Grosse haben, zu demselben fortschreiten und so von den guten Gaben Gottes, d. h. vom Grossen, zum Besten, d. h. zu einer noch grösseren Wohnung gelangen. Er bedient sich zu seinem guten Werke eines trefflichen Gehülfen, seines Wortes. "Aus meinem Herzen", heisst es, "entquoll mein sehr treffliches Wort".5. Gehen wir von da nun über zu den sämtlichen Fragen! Ihr seid die Hunde, die der Apostel hinaustreibt,6) die gegen den Gott der Wahrheit belfern, und folgendes ist das Mark der Beweisführungen, woran ihr herumkaut: "Wenn Gott gut ist, die Zukunft vorherweiss und imstande ist, das Üble abzuwenden, warum duldete er, dass der Mensch, der ja sein Bild und Gleichnis, ja noch mehr, der infolge des Ursprungs seiner Seele von Gottes Substanz ist, aus dem Gehorsam gegen das Gesetz heraus, vom Teufel betrogen dem Tode verfiel? War er nämlich gut und folglich ein derartiges Ereignis gegen seinen Willen, war er der Zukunft kundig und blieb folglich dessen Eintreffen ihm nicht verborgen, war er mächtig und folglich imstande, es zu verhüten ---- dann wäre es in keinem Falle eingetreten, weil es bei diesen drei Eigenschaften der göttlichen Majestät unmöglich hätte geschehen können. Wenn es nun aber doch geschah, so ist im Gegenteil ausgemacht, dass Gott weder für gut, noch für kundig des Zukünftigen, noch für mächtig zu halten ist. Denn so gewiss, als nichts derart geschehen wäre, wenn Gott so wäre, nämlich gut, allwissend und mächtig, so sicher ist es nur aus dem Grunde wirklich geschehen, weil Gott nicht so ist."

Dem gegenüber gilt es, zuerst eben diese Eigenschaften Gottes zu verteidigen, die bezweifelt werden, nämlich seine Güte, sein Vorherwissen und seine Macht, und ich will bei diesem Punkte nicht lange warten lassen, da Christus selbst mit der Erklärung vorangegangen ist, dass aus den Werken die Beweise geführt werden müssen.7)

Die Werke des Schöpfers legen für beides Zeugnis ab, sowohl für seine Güte, da sie, wie gezeigt, gut sind, als auch für seine Macht, da sie sehr gross und zahlreich und noch dazu aus nichts geschaffen sind.

Auch wenn sie, wie manche wollen, aus einer vorhandenen Materie erschaffen wären, so würden sie insofern doch aus nichts erschaffen sein, als sie vorher nicht waren, was sie jetzt sind. Schliesslich sind sie schon darum gross, wenn sie gut sind, und Gott schon dann mächtig, wenn alles ihm angehört; darum ist er auch allmächtig. Was soll ich aber über sein Vorherwissen sagen, da es dafür so viele Zeugen gibt als Propheten ?! Doch was soll das Prädikat "vorherwissend" bei dem Urheber aller Dinge? Indem er alles anordnete, wusste er es natürlich auch vorher, und wiederum kraft seines Vorherwissens ordnete er alles an. Sogar die Übertretung selbst hat er vorhergewusst; sonst hätte er sicherlich keine Massregel dagegen durch Androhung des Todes getroffen.

Wenn sich also bei Gott Eigenschaften finden, infolge deren nichts Übles den Menschen hätte treffen können und dürfen, wenn es ihn dennoch aber getroffen hat, so wollen wir uns die Beschaffenheit des Menschen ansehen, ob nicht etwa sie schuld war, dass ihn das traf, was ihn, soviel an Gott liegt, nicht hätte treffen können. Da finde ich nun, dass der Mensch frei, mit eigenem Willen und mit Macht über sich selbst von Gott geschaffen ist und bemerke kein anderes Bild und Gleichnis Gottes an ihm als dasjenige, was dieser Zustand mit sich bringt. Denn er ist nicht in Hinsicht seiner Gesichtszüge und körperlichen Umrisse, die bei dem Menschengeschlechte so verschieden sind, nach dem eingestaltigen Gotte gebildet worden, sondern in Hinsicht der Substanz, die er von Gott empfing, nämlich der Seele, die der Form Gottes entspricht, und dann mit der Freiheit und Fähigkeit seines Willens besiegelt. Dass dies sein Zustand sei, wird auch durch das Gesetz selbst bestätigt, welches ihm damals von Gott gegeben wurde. Denn es würde ihm kein Gesetz gegeben worden sein, wenn es nicht in seinen Kräften gestanden hätte, den dem Gesetze schuldigen Gehorsam zu leisten, und auf der andern Seite wäre der Übertretung nicht die Todesdrohung beigefügt worden, wenn nicht die Verachtung des Gesetzes ebenfalls der Willensfreiheit des Menschen zugerechnet würde. So wirst Du es auch bei den spätem Gesetzen des Schöpfers finden, wenn er immer dem Menschen Gutes und Böses, Leben und Tod vorlegt; auch den ganzen Verlauf der Erziehung durch die Gebote wirst du nicht anders angelegt finden. Gott befiehlt, droht und ermahnt dabei, nur weil der Mensch den freien Willen hat, zu gehorchen oder das Gebot zu verachten.

6. Aus Obigem ist bereits zu entnehmen, dass wir das Vermögen des freien Willens des Menschen nur in der Absicht feststellen, damit, was ihm zustösst, nicht Gott, sondern ihm selbst schuld gegeben werden müsse. Damit man nun nicht bereits an dieser Stelle den Einwand erhebe, Gott hätte diese Einrichtung nicht treffen dürfen, wenn die Freiheit und Selbstbestimmung verderblich wirken würde, so will ich erst den Satz verteidigen: Gott musste diese Einrichtung treffen, um damit desto fester die Überzeugung zu begründen, die Einrichtung sei wirklich getroffen und Gottes würdig, indem die Ursache, warum die Einrichtung getroffen wurde, sich als die überwiegende herausstellt. Die Güte Gottes und die Vernünftigkeit jener Einrichtung, die bei unserm Gott stets zusammentreffen, werden auch für diese Einrichtung sprechen. Denn Vernünftigkeit ohne Güte ist keine, und Güte ohne Vernünftigkeit ist auch keine; es sei denn etwa bei dem, wie wir gesehen haben, unvernünftig guten Gotte Marcions.

Gott sollte erkannt werden; das war gut und vernünftig. Es sollte irgend ein geeignetes Wesen geben, das Gott zu erkennen imstande wäre. Was konnte nun dafür Geeigneteres in Aussicht genommen werden, als ein Bild und ein Gleichnis Gottes? Auch dies ist ohne Zweifel gut und vernünftig. Es musste also ein mit freiem Willen und Selbstbestimmung begabtes Bild und Gleichnis geschaffen werden, an welchem eben dieses als das Ebenbildliche und Gleichende angesehen wurde, nämlich die Freiheit des Wollens und Könnens.

Zu diesem Ende wurde dem Menschen eben die Substanz gegeben, welche jenem Zustande entspricht, der Anhauch Gottes, der ja auch frei ist und sich selbst bestimmt. Aber auch in anderer Hinsicht, was hätte es geheissen, wenn der Mensch, der Herr der ganzen Welt, nicht an erster Stelle auch die Herrschaft und den Besitz seiner eigenen Seele gehabt hätte? Herr über andere Dinge, wäre er in Hinsicht auf sich selbst ein Sklave?! Man hat also sowohl die Güte Gottes anzuerkennen wegen seiner Entschliessungen, als auch seine Weisheit wegen der Durchführung derselben. Jetzt soll bloss die Güte allein in Betracht gezogen werden, die dem Menschen ein so grosses Gut gewährt hat wie die Freiheit des Willens, die Weisheit aber wird Verdienste für sich in Anspruch nehmen bei Durchführung derselben.

Gut von Natur aus ist nur Gott allein. Denn wer das, was er ist, besitzt, ohne dass es einen Anfang gehabt hätte, der besitzt es nicht infolge einer getroffenen Einrichtung, sondern von Natur aus. Der Mensch aber, der alles, was er ist, einer Einrichtung verdankt und einmal einen Anfang genommen hat, erhält mit seinem Ursprung auch Wesensform und ist darum nicht infolge seiner Natur zum Guten veranlagt, sondern infolge einer Einrichtung. Das Gutsein ist nicht etwas ihm Zugehöriges, weil er nicht durch seine Naturanlage ein guter ist, sondern durch eine Veranstaltung, und er ist es entsprechend seinem guten Veranstalter, d. h. dem Schöpfer des Guten.

Damit also der Mensch das Gute, welches ihm von Gott zur Verfügung gestellt ist, nun auch als sein eigenes besitze, und damit es dann des Menschen Eigentum und sozusagen seine Natur werde, ist ihm von der ersten Einrichtung her die Freiheit und das Willensvermögen gleichsam als Zünglein an der Wage für das ihm von Gott anheimgegebene Gute mitgegeben worden. Sie sollten bewirken, dass das Gute als etwas ihm Zugehörendes nun vom Menschen aus freien Stücken geübt werde. Denn so verlangte es das Wesen des Guten, das freiwillig zu üben ist, nämlich infolge der Freiheit der Entscheidung, welche der uranfänglichen Einrichtung zuneigt, ohne ihr aber sklavisch untergeben zu sein. So sollte der Mensch also in der Weise als ein guter dastehen, wenn er sich, entsprechend zwar seiner Uranlage, aber doch kraft eigenen Willens als ein guter zeigen würde, gleichsam als wäre das Gute Eigentum seiner Natur. Ebenso sollte er auch gegen das Böse, ---- auch daran dachte Gott natürlich ---- als der stärkere auftreten, nämlich als freies Wesen und als sein eigener Herr. Denn wenn er dieses Rechtes entbehrte, so dass er sogar das Gute mit Notwendigkeit ohne seinen Willen vollbracht hätte, so wäre er auch dem Bösen völlig preisgegeben in knechtischer Schwäche, und dem Bösen gegenüber ebenso ein Sklave gewesen wie dem Guten gegenüber.

Also die Freiheit der Selbstbestimmung ist ihm vollständig nach beiden Richtungen hin zugestanden, so dass er als sein eigener Herr mit Festigkeit auftreten konnte sowohl in freiwilliger Beobachtung des Guten als in freiwilliger Vermeidung des Bösen, weil der auch in anderer Hinsicht unter das Gesetz Gottes gestellte Mensch dies letztere als ein gerechtes rechtfertigen musste, und das thut er vermittelst der Verdienste seiner Selbstbestimmung, d. h. der freien. Hingegen würde weder der für das Böse noch der für das Gute ihm dargewogene Lohn ein gerechter sein, wenn er gut oder böse wäre aus Notwendigkeit und nicht aus freiem Willen. Zu diesem Zweck ist auch das Gesetz gegeben worden; es schliesst die Freiheit nicht aus, sondern dient zum Beweise derselben, indem entweder aus freien Stücken Gehorsam dagegen geübt oder ans freien Stücken die Übertretung begangen wird. So liegt in beiden Fällen die Freiheit des Willens am Tage.

Wenn man also findet, dass sich in der Verleihung der Freiheit an den Menschen die göttliche Weisheit und Güte bethätige, so darf man die ursprüngliche Definition von Güte und Weisheit, die vor jeder Verhandlung festzustellen ist, nicht wieder aufgeben und hinterher nicht den Ereignissen zu gefallen das Präjudiz aufstellen: Gott hätte nicht so handeln dürfen, weil der Ausgang ein anderer geworden ist, als Gott geziemt, sondern man muss, nachdem man geprüft und erkannt, dass er es so machen musste, mit Aufrechterhaltung des als richtig Erkannten, die weiteren Forschungen anstellen. Sonst kann man leicht an dem Sturze des Menschen sofort Anstoss nehmen und, bevor man des letztern Beschaffenheit untersucht hat, das Geschehene dem Urheber schuld geben, indem man die Gründe, die der Urheber hatte, nicht geprüft hat. So erkennt man einerseits die Güte Gottes von Anbeginn seiner Werke an, und dies verschafft uns die Überzeugung, dass nichts Böses von Gott kommen konnte; andererseits wird die geprüfte Freiheit des Menschen sich gern dessen schuldig bekennen, was sie selber begangen hat.

7. Bei dieser Lehrbestimmung bleibt an Gott alles in seinem Rechte, seine natürliche Güte, seine Weisheit in den Anordnungen und dem Vorherwissen sowie auch der Reichtum seiner Macht. Fordern muss man jedoch von Gott sowohl die höchste Würde als eine ganz besondere Beständigkeit in allen seinen Veranstaltungen und dann aufhören, die Frage aufzuwerfen, ob etwas ohne den Willen Gottes geschehen könne. Denn wenn man an der Besonnenheit und Beständigkeit des guten Gottes festhält, die aber nur zum Schütze seiner eigenen wohlweisen Einrichtungen wirksam sind, so wird man es auch nicht mehr auffallend finden, dass Gott gegen das, was er nicht will, nicht einschritt, damit so das, was Gegenstand seines Willens ist, konserviert werde.

Wenn er nämlich dem Menschen einmal die Willensfreiheit und Selbstbestimmung eingeräumt hatte und wenn diese Einräumung, wie wir gezeigt haben, eine Gottes würdige That war, so hatte er natürlich mit dieser seiner autoritativen Einrichtung dem Menschen auch die Anwendung jener Kräfte eingeräumt. Sie sollten aber ---- soweit Gott ins Spiel kommt ---- angewendet werden, wie er es wollte, d. h. Gott gemäss, d. h. zum Guten ---- denn niemand wird doch wohl gegen sich selbst eine Einräumung machen. ---- Soweit aber der Mensch dabei ins Spiel kommt, sollten jene Kräfte den Bewegungen der Freiheit selbst gemäss angewendet werden ---- denn wer jemandem den Gebrauch einer Sache einräumt, der wird ihm wohl auch einräumen, dass er sie nach seinem Sinn und Gutdünken gebrauche. Es war also selbstverständlich, dass Gott die Freiheit, nachdem er sie dem Menschen einmal verliehen, gewähren liess, d. h. seinerseits mit seinem Vorherwissen und seiner Allmacht, kraft deren er hätte einschreiten können, an sich hielt, so dass der Mensch, wenn er sich seiner Freiheit in schlimmer Weise zu bedienen begann, in Gefahr geriet. Wäre Gott eingeschritten, so hätte er die Willensfreiheit wieder aufgehoben, die er aus Weisheit und Güte zugestanden hatte.

Stelle Dir also nun vor, er sei eingeschritten, er habe die Willensfreiheit aufgehoben, indem er von dem Baume zurückrief, indem er das Weib von dem Zusammentreffen mit der betrügerischen Schlange abhielt, würde da nicht Marcion ausgerufen haben: O über diesen wetterwendischen, unbeständigen, treulosen Gott, der da wieder vernichtet, was er gemacht hat! Warum hat er die Willensfreiheit, eingeräumt, wenn er dagegen einschreiten will? Warum schreitet er gegen sie ein, wenn er sie gegeben hat? Mag er selbst bestimmen, wo er sich lieber des Irrtums zeihen lassen will, ob beim Treffen der Einrichtung oder bei deren Aufhebung? Würde er nicht dann gerade am meisten als ein durch Nichtwissen der Zukunft Betrogener dagestanden haben, wenn er Widerstand geleistet hätte? Jeder würde sagen, er habe bei der Einräumung gehandelt wie einer, der nicht weiss, was daraus wird.

Aber auch, wenn er es vorauswusste, dass der Mensch von seinen Einrichtungen einen schlechten Gebrauch machen würde, auch dann ist Gottes nichts so würdig, als Bedächtigkeit und Beständigkeit in seinen Einrichtungen, welche sie auch immer sein mögen. Wenn der Mensch, was er erhalten, nicht zu einem guten Abschluss brachte, so wäre das seine Sache gewesen und er hätte dem Gesetze gegenüber, dem er nicht folgen wollte, als Schuldiger dagestanden, keineswegs aber hätte der Gesetzgeber selbst sein Gesetz verkümmern können, indem er nicht zuliess, dass seine Vorschrift erfüllt würde. Dergleichen Vorwürfe würdest Du dem Schöpfer mit vollem Recht gemacht haben, wenn er dem freien Willen des Menschen mit seiner Voraussicht und Macht, die Du herausforderst, entgegengetreten wäre. Darum führe Dir jetzt zu gunsten desselben seine Würde, Langmut und Beständigkeit vor die Seele, womit er aller seiner Einrichtungen wartet, da sie vernünftig und gut. sind.

8. Denn Gott hat den Menschen nicht bloss zu einem leiblichen Leben erschaffen, als sollte er nicht auch sittlich gut leben, im Hinblick nämlich auf Gott und sein Gesetz. Das Leben war ihm allerdings unmittelbar von Gott selbst verliehen, da derselbe ihn zur "lebenden Seele" machte; sittlich gut zu leben aber war ihm nun aufgegeben worden, indem er zum Gehorsam gegen das Gesetz ermahnt worden war. Derjenige, der jetzt wünscht und zu erkennen gibt, dass der Mensch das Leben wieder erlange, indem er die Busse des Sünders will, nicht seinen Tod,8) der gibt damit auch zu erkennen, dass der Mensch nicht zum Tode geschaffen war. Wie Gott dem Menschen also den Zustand des Lebens verlieh, so zog der Mensch sich den Zustand des Todes zu, und auch das noch nicht einmal infolge von Schwäche oder Unwissenheit, weshalb auf den Schöpfer durchaus keine Schuld fällt. Wenn es auch ein Engel war, der ihn verführte, so war doch der Verführte selbst frei und sein eigener Herr, war Bild und Gleichnis Gottes und daher stärker als der Engel, war der Anhauch Gottes und deshalb edler als der materielle Geist, aus dem die Engel bestanden. "Er machte", heisst es, "die Winde zu Engeln, und die Feuerflamme zu Dienern.''9) Er hätte auch dem Menschen nicht das Weltall unterworfen, wenn er zum Herrschen zu schwach und nicht besser gewesen wäre als die Engel, denen er nichts derart unterstellt hat. Ebensowenig hätte er ihm die Last des Gesetzes auferlegt, wenn das Gesetz ihm zu schwer und er zu schwach gewesen wäre, es zu tragen. Auch hätte er einen, der, wie er wusste, wegen seiner Schwäche entschuldbar war, nicht vor Gericht gezogen, um die Todesstrafe über ihn zu verhängen. Endlich hätte Gott einen wirklichen Schwächezustand des Menschen bewirkt nicht durch Verleihung der Freiheit und Selbstbestimmung, sondern vielmehr durch deren Mangel. Daher macht jetzt dieselbe Freiheit und Macht des Willens ebendenselben Menschen, dieselbe Seelensubstanz, und denselben Adamszustand zum Sieger über ebendenselben Teufel, wenn sie in Gehorsam gegen Gottes Gesetz angewendet wird.

9. Aber wie kann denn, wendet man ein, eine Substanz, die ein Werk des Schöpfers ist, der Sünde fähig werden, indem der Anhauch Gottes, d. h. die Seele im Menschen es ist, der sündigt? Auch muss ja notwendig das Verderbnis des Teiles sich der Gesamtmasse, woraus er entsprungen ist, mitteilen. ---- Dieser Schwierigkeit gegenüber wird die Beschaffenheit der Seele zu erörtern sein.

Vorab ist festzuhalten, was der griechische Text der hl. Schrift anzeigt, der den Ausdruck Hauch gebraucht, nicht Odem. Einige Übersetzer aus dem Griechischen haben nämlich die Verschiedenheit nicht erwogen, sich um die Eigentümlichkeit der Worte nicht gekümmert und setzen Odem statt Anhauch. Damit geben sie den Häretikern Gelegenheit, den Odem Gottes, d. h. Gott selbst, der Sünde zu zeihen. Damit ist die Frage schon entschieden. Erkenne also, dass der Hauch etwas Geringeres ist als. der Odem, wenn auch eine Folge des Odems; er ist gleichsam nur ein gelindes Wehen desselben, aber nicht der Odem selbst. Ein Luftzug ist gelinder als der Wind selbst und wenn er auch vom Winde herkommt, so ist er dennoch kein Wind. Man kann den Hauch auch ein Bild des Odems nennen. Denn auch aus diesem Grunde ist der Mensch ein Bild Gottes, d.h. des Geistesodems; Gott ist nämlich ein Geistesodem, der Hauch ist also ein Bild des Geistesodems. Nun wird das Bild aber der Wirklichkeit nicht völlig gleichkommen. Etwas anderes ist es, der Wirklichkeit gemäss sein, etwas anderes, selbst die Wirklichkeit sein.

So kann auch der Anhauch, da er ein Bild des Geistesodems ist, nicht in dem Grade die Ebenbildlichkeit Gottes erlangen, dass er, weil sein Original, d. h. der Geistesodem, d. h. Gott, ohne Sünde ist, er, der Anhauch, d. h. sein Ebenbild, auch keine Sünde begehen dürfte. Darin steht das Ebenbild hinter seinem Original und der Anhauch hinter dem Geistesodem zurück, obwohl auch er natürlich jene Umrisse des Bildes Gottes besitzt, wodurch die Seele unsterblich, frei und ihre eigene Herrin

wird, oft mit Voraussicht begabt, vernünftig, der Erkenntnis und Wissenschaft fähig ist. Dessenungeachtet bleibt sie auch darin nur Bild, und so wenig sie an Kraft der Gottheit gleich wird, so wenig in Bezug auf Freiheit von der Sünde, weil sie diesen Vorzug Gott allein, d.i. dem Originale, überlässt und solches allein dem Abbilde nicht zukommt. Denn wie ein Bild, wenn es auch in den Umrissen dem Original völlig entspricht, dennoch der Lebenskraft entbehrt und keine Bewegung besitzt, so war es auch einzig die Lebenskraft des Geistesodems, d.i. der selige Zustand der Sündenlosigkeit, welchen die Seele, sein Abbild, nicht darzustellen imstande war. Andernfalls würde sie nicht mehr eine Seele sein, sondern der Geistesodem, und es würde nicht mehr der Mensch sein, dem die Seele gegeben wurde, sondern ein Gott.

Andererseits wird auch nicht alles, was irgendwie von Gott kommt, für Gott gehalten werden dürfen, und man darf nicht fordern, der Anhauch müsse auch ein Gott, d. h. absolut ohne Sünde sein, deswegen, weil er Gottes Anhauch ist. Denn wenn Du in eine Flöte bläsest, so wirst Du nicht aus der Flöte einen Menschen machen, obwohl Du von Deinem Odem hineinblässest, ähnlich wie Gott von dem seinigen. Wenn so also die hl. Schrift ganz deutlich sagt, Gott habe dem Menschen in das Antlitz gehaucht und der Mensch sei damit zur lebendigen Seele geworden, nicht zum lebendigmachenden Geistesodem, so unterscheidet sie deutlich seinen Zustand von dem seines Schöpfers. Denn das Werk muss sich vom Künstler unterscheiden, d. h. geringer sein als er. Der Krug, der vom Töpfer gemacht ist, ist nicht der Töpfer, ebensowenig auch der Anhauch, der von dem Geistesodem ausging, der Geistesodem selbst. Genau das Wesen, welches die Seele ausmacht, empfing die Bezeichnung Anhauch.

Achte sodann aber auch darauf, dass sie nicht von ihrer Würde als Anhauch hinabgleite zu einer geringeren Stellung! Es wäre damit also, wendet man ein, die vorhin geleugnete Ohnmacht der Seele zugegeben. ---- Allerdings, wenn man verlangt, die Seele müsse Gott gleich, d. h. der Sünde unzugänglich sein, dann hebe ich ihre Schwäche hervor. Wenn man sich aber auf den bösen Engel beruft, so muss ich notwendig betonen, der Herr der Erde, dem die Engel dienen und der auch die Engel richten wird, ist ihm, wenn er im Gesetze Gottes standhaft bleibt, was er freilich das erste Mal nicht wollte, an Stärke überlegen. Das war es also, was bei dem, der ein Anhauch Gottes ist, noch Zugang finden konnte; es konnte, aber es musste nicht. Das Können konnte Platz greifen infolge der Schwäche seiner Substanz, weil sie nur Anhauch, nicht Geistesodem ist, genötigt war er aber nicht vermöge seiner Willensfreiheit, wodurch er ein Freier, nicht ein Sklave ist. Dazu trat dann noch die Warnung, nicht zu sündigen, unter Androhung des Todes, wodurch die Schwäche der Substanz unterstützt und die Freiheit des Urteils ihre Leitung erhalten sollte.

Daraus ist nun bereits ersichtlich, dass die Seele nicht durch das sündigte, was an ihr mit Gott verwandt ist, d. i. durch den Anhauch, sondern durch das, was zu ihrer Wesenheit hinzukam, d. h. durch die Willensfreiheit, die ihr von Gott zwar aus guten Gründen verliehen worden war, der aber der Mensch nach seinem Gutdünken die Richtung gab. Wenn es sich nun so verhält, so ist damit die ganze Veranstaltung Gottes bereits von jedem Vorwurf des Bösen gereinigt. Die Freiheit des Willens nämlich wird ihre Verschuldungen nicht auf den zurückwerfen, von dem sie gegeben ist, sondern auf den, von welchem sie nicht in pflichtmässiger Weise angewendet wurde. Welches Böse willst Du denn nun schliesslich Gott zuschreiben? Etwa die Sünde des Menschen? Aber was des Menschen ist, kann nicht Gott zugehören, und der kann doch nicht für den Urheber des Bösen gelten, der es verbietet, ja sogar verurteilt. Wenn der Tod ein Übel ist, so wird das Gehässige desselben nicht auf den, der ihn angedroht, fallen, sondern auf den, der sich nichts daraus gemacht hat; dieser ist sein Urheber. Denn indem er sich nichts daraus machte, hat er ihn verschuldet, während doch der Tod nicht eingetreten wäre, wenn man sich etwas daraus gemacht hätte.

10. Auch wenn Du den Vorwurf der Schlechtigkeit vom Menschen auf den Teufel abwälzest, als auf den Verführer zur Sünde, um die Schuld auch auf diesem Wege auf den Schöpfer zu schieben, als des Teufels Urheber, der die Geister zu seinen Boten gemacht hat ---- selbst dann also würde dasjenige an ihm, was von Gott gemacht ist, d. h. dass er Engel ist, noch Gott, der es gemacht hat, angehören, für die Seite seines Wesens aber, die nicht von Gott gemacht, d. h. dass er Teufel, d. h. Verleumder ist, bleibt nichts übrig, als dass er sich selbst dazu gemacht habe, indem er Gott verleumdete. Und zwar war es erstens eine Lüge, dass Gott ihnen von allen Bäumen zu essen verboten habe, zweitens, dass sie nicht sterben würden, wenn sie ässen, drittens, dass ihnen Gott die göttliche Würde nicht gegönnt habe. Woher entsprang also sein boshaftes Belügen und Betrügen der Menschen sowie seine Infamie gegen Gott? Von Gott jedenfalls nicht, da er den Engel, wie es die Regel bei seinen guten Werken wollte, auch gut erschaffen hatte. Er wird sogar als der weiseste von allen bezeichnet, bevor er Teufel wurde, und die Weisheit kann doch nichts Schlechtes sein.

Wenn Du den Propheten Ezechiel aufschlägst, so wirst Du mit Leichtigkeit erkennen, dass er seiner Erschaffung nach ein guter Engel gewesen, aber durch sein Zuthun ein gefallener geworden ist. In der Person des Fürsten von Sor wird nämlich zum Teufel gesprochen: Und es erging das Wort des Herrn an mich und sprach: "Menschensohn! Stimme Klagen an über den Fürsten von Sor und sage: So spricht der Herr: Du bist die Besiegelung der Ebenbildlichkeit," ---- der Du nämlich das Siegel unversehrter Ebenbildlichkeit und Gleichartigkeit angelegt hast ---- "Du, die Krone der Schönheit" ---- dies war er als der vollkommenste unter den Engeln, als Erzengel, als der weiseste von allen, ---- "in der Wonne des Paradieses Deines Gottes bist Du geboren" ---- dort nämlich, wo Gott bei der zweiten Gestaltung der Tiergestalten die Engel bildete. "Mit den kostbarsten Steinen bist Du bedeckt, dem Sardius, Topas, Smaragd, Karfunkel, Saphir, Jaspis, Rubin, Achat, Amethyst, Chrysolith, Beryll und Onyx. Mit Gold hast Du gefüllt Deine Vorrats und Schatzkammern. Vom Tage Deiner Geburt an setzte ich Dich mit den Cherubim auf den hl. Berg Gottes; Du warst inmitten der feurigen Steine, Du warst tadellos in Deinen Tagen, seitdem Du geschaffen bist, bis Deine Schäden entdeckt wurden. Durch den grossen Umfang Deines Handels fülltest Du Deine Vorratskammern und wurdest ein Sünder"10) u. s. w. Es ist klar,, dass das alles im eigentlichen Sinne zur Beschämung des Engels, nicht des genannten Fürsten dient; denn es ist ja kein Mensch im Paradiese geboren, nicht einmal Adam, dieser wurde vielmehr dorthin "gesetzt"; auch ist keiner mit den Cherubim auf den hl. Berg Gottes, d. h. auf die himmlische Höhe erhoben worden, von welcher nach dem Ausspruch des Herrn der Satan heruntergefallen sein soll; es hat auch keiner unter den feurigen Steinen, bei den wie Edelsteine funkelnden Strahlen der leuchtenden Gestirne verweilt, sondern der Satan war es, der von da wie ein Blitz herabstürzte.11) Es ist vielmehr der Urheber der Sünde selbst in der Person des Mannes der Sünde gekennzeichnet worden; ehedem, an dem Tage seiner Erschaffung war er allerdings tadellos von Gott zum Guten erschaffen, da Gott untadelhafter Schöpfungen guter Schöpfer ist; ausgerüstet mit aller Glorie der Engel, war er in die Nähe Gottes gesetzt, als Guter zu dem Guten, späterhin aber ist er infolge eignen Thuns zum Bösen übergegangen. Seitdem Deine Schäden, heisst es, zutage getreten sind. Damit werden ihm diejenigen vorgeworfen, womit er den vom Gehorsam gegen Gott losgesagten Menschen schädigte. Er hat gesündigt, von da an, seitdem er Sünde aussäete und so "seinen Handel" d. i. seine Bosheit "in grossem Umfange" d. i. die ganze Kette311. Gut also, Gott war von Anfang an bis zum Sündenfall des Menschen ausschliesslich gütig; von da an ist er Richter und streng, oder, wie die Marcioniten sagen, grausam. Das Weib wird auf der Stelle verurteilt, in Schmerzen zu gebären und dem Manne dienstbar zu sein, sie, die vorher nur von einer Vermehrung des Menschengeschlechts ohne irgendwelche Betrübnis, als Folge eines Segens, etwas gehört hatte: "Wachset nur und mehret Euch!" Und sie war doch nur zur Gehilfin, und nicht zur Sklavin des Mannes bestimmt gewesen. Sofort wird auch die Erde verflucht und doch war sie vorher gesegnet worden. Sofort gab sie Disteln und Dornen, sie, die vorher fruchtbar an Gras, Kräutern und Bäumen gewesen war. Sofort. gab es Schweiss und Mühe bei Erwerbung des täglichen Brotes, während vorher durch alle Arten Bäume allen der gemeinsame Lebensunterhalt und die Nahrung gesichert war. Von da an ging der Mensch zur Erde, vorher kam er von der Erde; von jetzt an war er zum Tode, vorher zum Leben bestimmt; von da an ging er in Kleidern aus Fellen, vorher war er ohne Gewissensbedenken nackt gewesen.

So war die Güte Gottes das Frühere, entsprechend seiner Natur, seine Strenge das Spätere infolge einer besondern Veranlassung. Erstere ist wesentlich, letztere zufällig, jene ihm eigentümlich, diese ihm beigelegt, jene aus seinem Wesen entsprungen, diese angenommen. Denn seine Wesenheit durfte ihre Güte nicht unwirksam bei sich behalten und bei vorkommender Veranlassung der Schuldige nicht mit einer bloss scheinbaren Strenge davon kommen. Erstere übte Gott um seinetwillen, die zweite wegen der Sache.

Fange nun an, auch das Richteramt anzuklagen, als sei es dem Bösen verwandt; denn Du hast Dir ja einen andern Gott ausgeheckt, der bloss gütig ist, weil Du ihn Dir als Richter nicht denken kannst, obwohl wir gezeigt haben, dass auch er des Richteramts walten müsse; wo nicht, so würde es von ihm ganz verkehrt und thöricht sein, eine Sittenlehre aufzustellen, die kein Ahnden, d. h. kein Richteramt kennt. Wenn man aber das Dasein eines Gottes beweist, der nicht richtet, so ist man damit den Gott, der richtet, noch nicht los. Man würde ohne Zweifel die Gerechtigkeit selbst anklagen müssen, die es ist, welche die richterliche Thätigkeit hervorruft, oder auch sie für eine Art von Bosheit erklären, d. h. die Ungerechtigkeit unter die Prädikate der Güte aufnehmen. Denn die Gerechtigkeit ist dann etwas Böses, wenn die Ungerechtigkeit etwas Gutes ist. Ist man aber genötigt, die Ungerechtigkeit als etwas sehr Schlechtes zu bezeichnen, so zwingt uns dasselbe Gesetz, die Gerechtigkeit für etwas sehr Gutes zu halten. Denn alles dem Schlechten Entgegengesetzte ist gut, sowie auch alles dem Guten Feindliche schlecht. Also je schlechter die Ungerechtigkeit ist, desto besser die Gerechtigkeit. Sie ist auch nicht bloss für eine Nebenart der Güte, sondern für ein Bollwerk derselben anzusehen, weil die Güte bei Ungerechtigkeit, wenn sie nicht von der Gerechtigkeit so geleitet wird, dass sie gerecht bleibt, keine Güte mehr sein würde. Nichts Ungerechtes ist gut, umgekehrt aber, alles Gerechte ist auch gut.

12. Wenn also zwischen der Güte und Gerechtigkeit eine Verbindung und ein innerer Zusammenhang vorhanden ist, so kann man sich eine Trennung derselben nicht vorstellen.13) Wie will man eine Verschiedenheit der beiden Götter statuieren und beide abgesondert für sich nehmen, den guten Gott für sich allein und den gerechten Gott auch allein? Das Gute ist nur da zu finden, wo Gerechtigkeit ist. Daher ist auch der Schöpfergott von Anfang an sowohl gut als gerecht, und beides hat sich in gleicher Weise fortgesetzt. Seine Güte hat die Welt geschaffen, seine Gerechtigkeit sie geleitet; dieselbe war es, die damals auch das Urteil abgab, dass die Welt aus guten Elementen zu erschaffen sei, indem sie unter dein Beirat der Güte urteilte. Ein Werk der Gerechtigkeit aber ist es, dass die Trennung von Licht und Finsternis ausgesprochen wurde, von Tag und Nacht, von Himmel und Erde, von oberem und unterem Gewässer, die Scheidung der Versammlung des Meeres von dem gewaltigen Bau der Erde, die Unterscheidung von grossen und kleinen Lichtern, von Lichtern für den Tag und Lichtern für die Nacht, die zwischen Mann und Weib, dem Baum der Erkenntnis des Todes und des Lebens, der Erde und dem Paradiese, den Wasser und Landtieren. Je nachdem die Güte für alles die Idee erfasste, so hat die Gerechtigkeit die Unterschiede durchgeführt. Alles dieses ist auf ein Urteil gegründet und angeordnet. Jede Stellung, das Aussehen der Elemente, Wirkung, Bewegung, Zustand, Entstehung und Untergang des einzelnen beruhen auf Urteilen des Schöpfers. Glaube nicht, dass man ihn erst von der Zeit an als Richter definieren müsse, wo das Böse seinen Anfang nimmt; durch einen schlechten Ursprung würdest Du der Gerechtigkeit einen Schandfleck anhängen. Denn wie wir gezeigt haben, sie ist in der Weise mit der Urheberin aller Dinge, der Güte, zu gleicher Zeit hervorgetreten, dass sie ebenfalls Gott angeboren und natürlich, nicht für bloss zufällig an ihm zu halten ist, da sie in Gott sichtbar wird als Begutachterin seiner Werke.

13. Aber freilich, als nachher das Böse hervorbrach und die Güte Gottes von diesem Augenblicke an mit einem Gegengewicht zu thun bekam, da erhielt auch die Gerechtigkeit Gottes eine andere Aufgabe, nämlich die, seine Güte nunmehr nach der ihr geschenkten Aufmerksamkeit einzurichten, in der Weise, dass sie mit Beiseitesetzung der Freiheit, wonach Gott auch über das Mass hinaus gütig ist, nach den Verdiensten eines jeden abgewogen, den Würdigen dargeboten, den Unwürdigen vorenthalten, den Undankbaren entzogen, ebenso auch gegen alle Gegner aufrecht erhalten wird. So ist es ganz die Aufgabe der Gerechtigkeit, der Güte den Weg zu bereiten, indem sie urteilt und verdammt, verdammt und straft; und dass Gott, wie Ihr es ausdrückt, wütet, das kommt sicher nur dem Guten, nicht dem Bösen zunutz. So trägt denn auch die Furcht vor dem Gericht zum Guten bei, nicht zum Bösen. Denn da das Gute nun unter dem Druck eines Gegengewichtes zu leiden hatte, reichte es nicht mehr hin, sich durch sich selbst zu empfehlen. Wenn es auch aus sich empfehlenswert ist, so kann es doch nicht durch sich allein geschützt werden; denn der Gegner würde es zu überwältigen imstande sein, wenn es nicht Schutz im Einfluss der Furcht fände, welche auch die Widerwilligen das Gute zu begehren und zu bewahren antreibt.

Im übrigen, da es so viele Verlockungen gibt, wodurch das Böse das Gute zu überwältigen vermag, wer würde da noch nach dem verlangen, was er ungestraft verachten darf? Wer wollte noch hüten, was er ohne Schaden verlieren kann? Es steht geschrieben, der Weg des Bösen sei breit und viel mehr betreten. Würden nicht alle auf ihn geraten, wenn auf ihm nichts zu fürchten wäre? Wir schaudern vor den furchtbaren Drohungen des Schöpfers und doch können wir uns kaum vom Bösen losreissen! Wie wäre es erst, wenn er gar nicht drohte?! Diese Gerechtigkeit nun wolltest Du böse nennen, obwohl sie dem Bösen so viel Abbruch thut? Du sprichst ihr die Güte ab, während sie doch dem Guten vorarbeitet? Welchen Gott müsstest Du alsdann Dir wünschen? Welchem soll man den Vorzug geben? Etwa einem, unter dem das Böse triumphieren, einem, mit dem der Teufel seinen Spott treiben würde? Willst Du etwa einen Gott für gut halten, der imstande wäre, den Menschen noch schlechter zu machen, indem er der Sünde Ruhe und Sicherheit gewährt? Wer ist sonst Ursache des Guten, wenn nicht der, der darnach verlangt? Wer steht dem Bösen so völlig fern, als wer ihm Feind ist? Wer ist ihm Feind, wenn nicht der, der es bekämpft? Wer bekämpft es, wenn nicht der, der es bestraft? Darum ist Gott durchaus gut, weil er alles für das Gute thut. Dadurch nur ist er allmächtig, weil er Macht hat, zu helfen und zu schaden.

Bloss nützen, wäre zu wenig, weil er dann sonst nichts vermöchte, als bloss zu nützen. Welches ist die Sicherheit, mit der ich von einem solchen das Gute hoffen soll, wenn er bloss dies zu leisten imstande ist? Wie soll ich dazu kommen, den Lohn für mein sittliches Verhalten zu begehren, wenn ich nicht auch die Vergeltung für das unsittliche im Auge haben muss? Ich muss daran zweifeln, dass er dem Gegenteil seinen gebührenden Lohn geben werde, wenn er ihn nicht beiden geben konnte. Zur Fülle der Gottheit also gehört allzeit auch die Gerechtigkeit; denn sie macht Gott erst zum vollkommenen Vater und Herrn, zum Vater infolge seiner Milde, zum Herrn infolge seiner sittlichen Zucht, zum Vater durch seine gelinde Herrschaft, zum Herrn durch seine Strenge; als Vater ist er kindlich zu lieben, als Herr notwendig zu fürchten. Zu lieben ist er, weil er lieber Mitleid will als Opfer, zu fürchten, weil er die Sünde nicht will; zu lieben, weil er lieber die Busse des Sünders will als seinen Tod; zu fürchten, weil er unbussfertige Sünder verschmäht, Daher schreibt das Gesetz Moses beides vor: "Man soll Gott lieben" 14) und: "Man soll Gott fürchten".15) Das eine hält es dem Folgsamen vor, das andere dem Übertreter.

14. In allem stellt Gott sich Dir als der entgegen, der Wunden schlägt, aber sie auch heilt; der tötet, aber auch lebendig macht, demütiget, aber auch erhöhet, Übles bewirkt, aber auch Frieden schaffet, um auch in diesem Punkte den Häretikern die Antwort nicht schuldig zu bleiben. Denn siehe, werfen sie ein, er selbst gesteht, Urheber des Übels zu sein, wenn er sagt: "Ich bin es, der Übles bewirkt."16) Sie klammern sich nämlich an den gemeinsamen Ausdruck, der zwei Arten von Übeln in zweideutiger Weise durcheinander wirft, indem sowohl die Sünden als die Strafen der Sünden so bezeichnet werden, und wollen Gott als Schöpfer der Übel im allgemeinen angesehen wissen, um ihn damit zum Urheber des Bösen zu machen.

Wir aber machen einen Unterschied zwischen beiden Arten, wir trennen das Übel der Sünde vom Übel der Strafe, das Übel der Schuld von seinen Folgen und geben jedem von beiden seinen besondern Urheber, nämlich dem Übel der Sünde und Schuld den Teufel, dem Übel der Strafe und Züchtigung den Schöpfer. So muss das eine als Bosheit erscheinen, das andere als Gerechtigkeit, welche gegen die Übel der Schuld die Urteile fällt. Zu diesen Übeln also, welche sich für das Richteramt passen, bekennt sich der Herr.17) Sie sind allerdings Übel für die, welche davon getroffen werden, im übrigen aber sind sie an sich gut, denn sie sind gerecht, dienen zum Schutz des Guten und gegen das Böse und sind in dieser Ordnung Gottes würdig. Oder aber Du musst, um zu zeigen, dass sie der Bosheit angehören, d. h. für Übel der Ungerechtigkeit seien, den Beweis liefern, dass sie ungerecht sind. Denn wenn sie zur Übung der Gerechtigkeit gehören, so sind sie schon keine Übel mehr, sondern gut. Übel sind sie nur für die Bösen, von welchen das Gute ja auch geradezu als etwas Übles verflucht wird.

Beweise, dass der Mensch, obwohl freiwilliger Verächter des göttlichen Gesetzes, ungerechterweise von dem getroffen worden sei, wovon er gern verschont bleiben wollte; beweise, dass mit Unrecht die Gottlosigkeit der betreffenden Zeit erst durch die Sündflut, sodann durch Feuer gezüchtigt, und dass die abscheulichen, abergläubischen Ägypter, welche das als Gast aufgenommene Volk bedrängten, mit Unrecht von den zehn Plagen heimgesucht worden seien. Gott verhärtete Pharaos Herz, aber dieser hatte es längst verdient, dem Verderben preisgegeben zu werden, da er bereits Gott geleugnet, dessen Gesandte schon so oft hochfahrend fortgejagt und dem Volke Frondienste auferlegt hatte. Derselbe war endlich als Ägypter schon längst vor Gott mit der Schuld heidnischen Götzendienstes beladen, da er lieber den Ibis und das Krokodil verehrte, als den wahren Gott. Gott vertilgte sogar sein Volk selbst ---- es war undankbar geworden; er schickte auch Bären über die Knaben ---- dieselben waren gegen seinen Propheten unehrerbietig gewesen.

15. Wirf also Deinen Blick zuerst auf die richterliche Gerechtigkeit! Wenn sie vor der Vernunft standhält, dann wird auch die Strenge und was mit der Strenge zusammenhängt als der Vernunft und Gerechtigkeit entsprechend angesehen werden dürfen. Und damit wir uns nicht bei zu vielerlei Dingen aufhalten, gebt uns zuerst auch Eure weitere Ursachen an, warum Ihr die Richtersprüche verwerfet, die Sünden entschuldiget und die Urteile missbilliget. Tadelt nicht den Richter, sondern überführt ihn, dass er schlecht sei.

Auch wenn er die Sünden der Väter von den Söhnen beitrieb, so war es nur die Verhärtung des Volkes, welche zu solchen Gegenmitteln nötigte, damit sie wenigstens aus Besorgnis um ihre Nachkommenschaft dem göttlichen Gesetze Gehorsam leisten sollten. Denn wer würde nicht für das "Wohl seines Sohnes mehr besorgt sein, als für sein eigenes? Galt aber der Segen der Väter auch für ihre Nachkommenschaft ohne irgend ein Verdienst der letzteren, warum sollte da nicht auch die Schuld der Väter sich auf die Söhne ausdehnen? Wie mit der Gnade, so verhält es sich mit der Beleidigung, und wie die Gnade, so durchläuft auch das Missfallen das ganze Geschlecht, unbeschadet dessen, was etwa für spätere Zeiten beschlossen werden würde, wo es nicht mehr heissen sollte: "Die Väter haben saure Trauben gegessen und den Kindern sind die Zähne stumpf geworden",18) d. h. wo der Vater nicht das Vergehen des Sohnes und der Sohn nicht mehr das des Vaters auf sich nehmen, sondern jeder für sein eigenes verantwortlich sein, die Verhärtung des Volkes durch die Härte des Gesetzes gebändigt sein und die Gerechtigkeit nicht mehr gegen das Geschlecht, sondern gegen die Individuen urteilen würde. Wenn Du aber das Evangelium der Wahrheit annimmst, dann wirst Du einsehen, auf wen sich der Richterspruch, der die Söhne für die Sünden der Väter entgelten lässt, bezieht, nämlich auf diejenigen, welche freiwillig das Urteil auf sich herabrufen würden: "Sein Blut komme über uns und unsere Kinder"! So war es also immer die Voraussicht Gottes, welche das Urteil nach dem sprach, was ihren Ohren bereits vernehmlich war.

16. Gut ist also auch die Strenge; denn sie ist gerecht, wenn der Richter gut d. h. gerecht ist. Ebenso sind auch die übrigen Akte gut, worin sich die gute Ausübung der guten Strenge vollzieht, der Zorn, die Abneigung und die Unerbittlichkeit. Denn alles das gehört zur Strenge, so gut wie die Strenge zur Gerechtigkeit. Zu ahnden war der Übermut einer Altersstufe, welche Ehrfurcht schuldete, und somit wird man die dem Richteramt zukommenden Eigenschaften nicht können dem Richter zum Vorwurf machen; denn sie sind von der Schuld frei, und ebenso auch der Richter selbst. Wie wäre es, wenn man behauptetete, es müsse Ärzte geben, ihre Instrumente aber anklagen wollte, weil sie schneiden, brennen, amputieren und zusammenpressen, während doch kein Arzt ohne die Instrumente seiner Kunst sein kann?! Wer ungeschickt schneidet, unzeitig amputiert und blind drauf los brennt, den magst Du dagegen immerhin anklagen, und auch seine Instrumente dadurch als schlechte Helfer tadeln. Ähnlich wäre es, wenn Du das Richteramt Gottes wohl zugeben, die Regungen und Gesinnungen aber, worin es sich ausspricht, aufheben wolltest.

Belehrungen über Gott empfangen wir von den Propheten und von Christus, nicht aber von den Philosophen oder gar von Epikur. Wir, die wir glauben, dass Gott sogar auf Erden gewandelt sei und die Niedrigkeit des menschlichen Äussern angenommen habe, wir sind weit entfernt von der Ansicht derer, welche meinen, Gott kümmere sich um nichts. Aus solchen Quellen haben die Häretiker auch Sätze bekommen wie der: Wenn Gott zürnt, eifert, sich erhebt und aufgebracht wird, so erfährt er eine Verschlechterung, also wird er auch sterben. Es ist nur gut, dass die Christen an einen gestorbenen Gott glauben, der freilich noch lebt in die Ewigkeiten der Ewigkeiten. Höchst thöricht sind die, welche sich auf Grund menschlicher Verhältnisse eine Meinung über Gott bilden und glauben, weil dergleichen Leidenschaften beim Menschen mit seiner Vergänglichkeit und Verderbtheit zusammenhängen, so müssten sie es in Gott auch. Man halte die Substanzen auseinander und teile ihnen ihre verschiedenen geistigen Anlagen zu, wie es die ersteren verlangen, mögen die Namen der Anlagen auch dieselben zu sein scheinen. Wir lesen ja auch von der rechten Hand, den Augen und Füssen Gottes, und werden sie darum doch nicht mit den menschlichen Gliedern vergleichen, wenn sie auch die Namen gemein haben. So gross die Verschiedenheit des göttlichen vom menschlichen Leibe ist bei gleicher Benennung der Gliedmassen, so gross wird auch die geistige Verschiedenheit Gottes vom Menschen sein, bei gleicher Benennung der Empfindungen. Sie werden beim Menschen infolge der Verdorbenheit seiner Substanz so sicher vom Verderben berührt, als sie bei Gott vom Verderben frei bleiben durch die Unverdorbenheit des göttlichen Wesens.

Gibst Du bestimmt zu, dass der Weltschöpfer Gott sei? Ganz bestimmt, lautet die Antwort. Wie kannst Du dann also glauben, in Gott sei irgend etwas menschlich und nicht alles göttlich? Wenn Du zugestehst, dass ein Wesen Gott sei, so gestehst Du damit auch, es sei nicht menschlich; denn indem Du zugestehst, es sei Gott, hast Du zum voraus eingeräumt, es sei von jeder Qualität menschlicher Eigenschaften verschieden. Wenn Du nun weiter anerkennst, der Mensch sei, von Gott angehaucht, zum lebenden Wesen geworden, nicht umgekehrt, Gott vom Menschen, so ist es verkehrt genug, lieber in Gott Menschliches zu statuieren als umgekehrt etwas Göttliches im Menschen, und Gott lieber mit dem menschlichen Ebenbilde auszustatten, als umgekehrt den Menschen mit dem göttlichen. So hat man sich denn das göttliche Ebenbild im Menschen auch vorzustellen, dass der menschliche Geist dieselben Bewegungen und Empfindungen hat wie der göttliche, wenn sie auch nicht ebenso so beschaffen sind, wie bei Gott; denn je nach der Substanz ist auch ihre Beschaffenheit und ihr Ausgang verschieden.

Endlich, wie ist es mit den entgegengesetzten Stimmungen, ich meine der Milde, Geduld, Barmherzigkeit und ihrer Quelle, der Güte selbst? Warum hält man sie denn für göttlich? Vollkommen besitzen wir ja auch sie nicht, weil Gott allein vollkommen ist. Daher empfinden wir denn auch die erstere Art, ich meine den Zorn und den Unwillen, nicht in dieser glücklichen Weise, weil Gott allein infolge der ihm eigenen Unverderblichkeit glückselig ist. Er zürnt wohl, aber er wird nicht aufbrausen und nicht in Gefahr kommen; er wird sich bewegen, aber nicht umwerfen lassen. Bei ihm muss wegen der Allseitigkeit der Dinge alles zur Anwendung kommen, so viele Stimmungen, als es Ursachen gibt, der Zorn wegen der Ruchlosen, der Unwille wegen der Undankbaren, der Eifer wegen der Hoffärtigen und alle Affekte, die sonst den Bösen noch unliebsam sind. In gleicher Weise wird er aber auch die Barmherzigkeit üben wegen der Verirrten, die Geduld wegen der Unbedachtsamen, Vergeltung um derentwegen, die es verdienen, und was die Guten sonst noch nötig haben. Das alles empfindet er in einer Weise, wie es ihm geziemt; der Mensch hat Gottes wegen dieselben Affekte ebenso, aber in seiner Weise.

17. Obige Erwägungen zeigen, dass das gesamte Verhalten Gottes in seinem Richteramt nichts anderes sei als die Verwirklichung oder, um mich angemessener auszudrücken, die Wahrung jener universalen und höchsten Güte. Letztere wollen die Marcioniten, weil mit der Vorstellung von einem Richter unverträglich und in ihrem Wesen ganz ohne Beimischung, nicht als in einem und demselben Gott existierend anerkennen, weil er über Gute und Böse regnen und seine Sonne über Gerechte und Ungerechte aufgehen lasse, was der andere Gott durchaus nicht thut. Denn obwohl Marcion auch diesen den Schöpfergott betreffenden Ausspruch Christi aus dem Evangelium auszumerzen gewagt hat, so trägt ihn doch das Weltall selbst als Überschrift und jede Erkenntnis kann sie lesen.

Es dürfte dies eben die Langmut sein, welche der Schöpfer mit Marcions Urteil über ihn übt, jene Langmut, welche mehr auf die Busse des Sünders wartet, als auf seinen Tod, und lieber Erbarmung will als Opfer, welche den über die Niniviten bereits verhängten Untergang abwendete, um der Thränen des Ezechias willen ihm das Leben noch fristete und dem Tyrannen von Babylon, nachdem er Busse gethan, in seine frühere Regierung wieder einsetzte; jene Erbarmung meine ich, welche Sauls Sohn, als er sterben sollte, dem Volke auf dessen Wunsch bin wiedergab, dem David, als er seinen Frevel gegen Urias' Haus bekannt hatte, Verzeihung gewährte, Israel selbst jedesmal wieder begnadigte, so oft es von ihm verurteilt worden war, und es jedesmal wieder tröstete, wenn er es gezüchtigt hatte.

Sich also nicht bloß auf seine Thätigkeit als Richter, sondern schaue auch hin auf die Beweise seiner grossen Güte. Wenn Du wahrnimmst, dass er züchtigt, so betrachte auch, wie er verzeiht. Wäge seine Strenge und Milde gegen einander ab. Weil beides beim Schöpfergott anzutreffen ist, so wird sich bei ihm auch das finden, weshalb Du an das Vorhandensein eines zweiten Gottes glaubst. Dann gehe weiter zur Betrachtung seiner Lehren, Sittenlehren, Vorschriften und Ratschläge über! Du wirst vielleicht einwenden, diese Bestimmungen fänden sich auch in den menschlichen Gesetzen. Allein Moyses und Gott waren vor Lykurg und Solon da. Jede nachfolgende Entwicklung nimmt von der uranfänglichen etwas an. Desungeachtet hat mein Schöpfergott es nicht Deinem erst abgelernt, Gott die Vorschrift zu geben: Du sollst nicht töten, nicht ehebrechen, nicht stehlen, kein falsches Zeugnis geben, fremdes Gut nicht begehren, Vater und Mutter ehren und Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst. Zu diesen Grundlagen der Sittenreinheit, Sittsamkeit, Gerechtigkeit und Liebe kommen dann noch Gebote der Menschlichkeit, z. B. wenn in jedem siebenten Jahre die Sklaven in Freiheit gesetzt wurden, wenn in derselben Zeit der Acker ruhete, den Armen das Feld überlassen und wenn dem dreschenden Ochsen das Maul offen gelassen wurde, so dass er von seiner dermaligen Arbeit auch etwas gemessen konnte, damit die Menschlichkeit, die sich am Vieh leichter heranbildet, auch den Menschen Erleichterung gewähren lerne.

18. Es ist am schicklichsten, diejenigen Seiten des alttestamentlichen Gesetzes als gut zu verteidigen, von denen es die Häresie am meisten begehrt, wie z. B. die Festsetzung des Wiedervergeltungsrechtes, wonach Auge um Auge, Zahn um Zahn und Beule um Beule verlangt wird. Das hat nicht den Sinn, als gewährte das Gesetz die Freiheit, sich gegenseitig unrecht zu thun, sondern es ist eine Vorsichtsmassregel zur Verhütung von Gewaltthätigkeiten überhaupt. Denn dem halsstarrigen und gegen Gott ungläubigen Volke erschien es zu weitaussehend oder gar unglaubwürdig, die Rache von Gott zu erwarten, wie späterhin durch den Propheten verkündigt werden sollte: "Die Strafe ist mein und ich werde vergelten.19"1) Bis dahin sollte vorläufig die Ausübung von Unbilden durch die Furcht vor der sofort eintretenden Vergeltung beschränkt werden and die Bewilligung des Vergeltungsrechtes eine Schranke gegen herausforderndes Benehmen sein. So sollte der entflammte Frevelmut aufhören. Der erste Frevel wird abgeschreckt durch die Erlaubtheit des zweiten, und indem sich der erste abschrecken lässt, findet der zweite gar nicht statt. Denn die Furcht vor der Wiedervergeltung wird auch sonst leichter erregt durch den Gedanken an den gleichen Schmerz. Nichts ist bitterer, als dasselbe erleiden zu müssen, was man andern angethan hat.

Wenn das Gesetz ferner die Auswahl der Speisen beschränkt und Tiere für unreine erklärt, die vormals gesegnet worden waren, so erkenne darin einen Rat, Enthaltsamkeit zu üben, und erblicke darin den Zügel, welcher der Gaumenlust angelegt wird, die nach den Gurken und Wassermelonen der Ägypter Verlangen hatte, während sie das Brot der Engel ass. Erkenne zugleich, dass damit auch gegen die Begleiter der Gaumenlust, gegen Wollust und Ausschweifung, die mit Zügelung der Esslust in der Regel abnehmen, Massregeln getroffen seien. "Das Volk ass und trank und stand auf, um Kurzweil zu treiben." Ebenso wird auch die Geldgier nach der Seite hin, wo sie sich mit dem Nahrungsbedürfnis entschuldigt, beschränkt dadurch, dass das Verlangen nach kostbaren Speisen abgeschnitten ist. Endlich soll der Mensch an wenig und geringe Nahrung gewöhnt werden und nicht nach ausgesuchteren Speisen verlangen, damit er' um so eher sich anleiten lasse, zur Ehre Gottes zu fasten. Allerdings war es nicht schön vom Schöpfergott, dass er seinem Volke die Speisen entzogen hat und nicht den Marcioniten, die ihm noch undankbarer sind.

Auch die lästigen Opfer, die mühseligen und künstlichen Leistungen und Spenden möge niemand tadeln, als habe Gott dergleichen für sich verlangt, da er laut genug ausruft: "Was soll mir die Menge eurer Opfer", und "Wer hat dergleichen von euren Händen verlangt". Aber man habe Acht auf die Sorgfalt Gottes, womit er das zu Idololatrie und Abfall sehr geneigte Volk durch dergleichen Verrichtungen, wie sie auch beim Aberglauben der Heidenwelt geübt wurden, an seine Religion fesseln wollte. Um es von heidnischem Aberglauben abzuhalten, befiehlt er, dass sie für ihn, als verlange er danach, stattfinden sollten, damit das Volk sich nicht Götzenbilder anfertige und dadurch sündige.

19. Allein er hat auch in den Verrichtungen des gewöhnlichen Lebens und des menschlichen Verkehrs, im Hause und draussen, in der Benutzung der Gefässe aller Art einen beständigen Unterschied statuiert, so dass die Juden, indem sich jene gesetzlichen Anleitungen allüberall einmischen, keinen Moment der Rücksicht auf Gott überhoben sind. Denn wodurch kann der Mensch sonst glücklich werden, wenn nicht dadurch, dass sein Wille beim Gesetze des Herrn ist und er Tag und Nacht über das Gesetz des Herrn nachsinnt? Dieses Gesetzes rührt nicht von Härte seines Urhebers her, sondern hat seinen Grund in dessen höchster Güte, welche vielmehr die Herzenshärte bändigen und den im Gehorsam noch ungetrübten Glauben durch mühevolle Verrichtungen geschmeidig machen will. Auf die geheimen Bedeutungen des Gesetzes, das geistig, prophetisch und fast in allen Punkten vorbildlich ist, will ich nicht eingehen. Denn augenblicklich genügt es, dass es einfach den Menschen für Gott in Pflicht nahm, so dass niemand es verwerfen darf, wenn er überhaupt gesonnen ist, Gott zu dienen.

Dieselbe Güte Gottes war es auch, welche das Prophetentum anordnete, um dieses wohlthätige, keineswegs lästige Gesetz zu stützen. Gottes ganz würdig lehrte es, die Bosheit aus der Seele auszurotten, Wohlthätigkeit lernen, Sorgfalt im Aufsuchen der Richtersprüche üben, den Witwen und Waisen ihr Recht werden lassen, suchen und forschen, die Berührung mit Gottlosen meiden, die Betrübten in Ruhe lassen, den ungerechten Schuldschein zerreissen, sein Brot mit den Hungrigen brechen, dem, der kein Obdach hat, in sein Haus aufnehmen, wenn man einen Nackenden sieht, ihn bedecken, und die Knechte aus Deinem Volke nicht verachten, die Zunge vom Bösen fern halten und die Lippen, damit sie nichts Übles reden, das Böse meiden und Gutes thun, Frieden suchen und ihm nachjagen, zürnen und doch nicht sündigen, d. h. im Zorn nicht verharren und sich massigen, nicht an den Ratschlägen der Gottlosen teilnehmen, noch auf dem Wege der Sünder stehen oder auf der Kathedra der Pestilenz sitzen. Aber wo? "Siehe, wie lieblich es ist, wenn Brüder bei einander wohnen,"20) Tag und Nacht über das Gesetz des Herrn nachdenkend, "weil es besser ist, auf den Herrn vertrauen, als auf Menschen". Denn welchen Lohn hat Gott für den Menschen? "Er wird sein wie ein Baum, der an den Wasserquellen gepflanzt ist, wer seine Frucht gibt zu seiner Zeit, es wird kein Blatt von ihm abfallen und alles, was er thut, wird ihm gelingen."21) "Der Unschuldige aber und der reines Herzens ist, der den Namen Gottes nicht vergeblich braucht und seinem Nächsten keinen Eid leistet in Arglist, der wird Segen vom Herrn empfangen und Barmherzigkeit vom Herrn, seinem Erlöser. Denn das Auge Gottes waltet über dem, der ihn fürchtet, der auf seine Barmherzigkeit hofft, um seine Seele vom Tode zu erretten und sie in der Hungersnot zu ernähren, nämlich für das ewige Leben. Denn viel sind der Drangsale des Gerechten und von ihnen allen wird ihn der Herr befreien. Schätzbar in den Augen Gottes ist der Tod seiner Gerechten. Der Herr wird alle ihre Gebeine hüten, es wird keines davon gebrochen werden. Gott wird die Seelen seiner Diener erretten." Wir haben nur diese wenigen Stellen aus den hl. Schriften des Schöpfergottes beigebracht und doch glaube ich, es fehlt ihm schon nichts mehr an dem Zeugnis, dass er ein sehr guter Gott sei. Seine gütigen Anleitungen und Warnungen bestätigen es zur Genüge.

20. Aber freilich, diese Tintenfische ---- als ein Vorbild solcher Leute wie sie, war das genannte Seetier von der Zahl der gesetzlich erlaubten Speisen ausgeschlossen ---- trüben hier, sobald sie merken, dass sie erwischt werden, das Wasser, indem sie den Schleim ihrer Gotteslästerungen von sich geben und lenken die Aufmerksamkeit eines jeden, der ihnen auf der Spur ist, ab, indem sie beständig Dinge geltend machen und hervorheben, wodurch die sich kundgebende Güte des Schöpfergottes verdunkelt wird. Aber folgen wir der Bosheit auch in diese Dunkelheiten hinein, um die Schliche der Finsternis ans Licht zu ziehen, womit sie dem Schöpfergott am meisten den bekannten Raub der Gold und Silbersachen, den er den Hebräern an den Ägyptern zu begehen befahl, zum Vorwurf machen.'22)

Wohlan, ich fordere Dich nun auf, unseliger Häretiker, selbst Schiedsrichter zu sein, unterrichte Dich erst in betreff beider Völker und dann bilde Dir ein Urteil über den in Rede stehenden Befehl. Die Ägypter fordern von den Hebräern goldene und silberne Gefässe zurück. Die Hebräer erheben ihrerseits Gegenforderungen, indem sie für sich und im Namen ihrer Väter auf Grund desselben Buches der hl. Schrift geltend machen, dass ihnen der Tagelohn für ihre Frondienste in den Ziegeleien und bei der Erbauung von Städten und Weilern erstattet werden müsse.

Wie wirst Du entscheiden ? Du, der es mit dem eminent guten Gott hält? Müssen die Hebräer ihren Diebstahl zugestehen oder die Ägypter die Schadloshaltung gestatten? Denn in diesem Sinne soll durch Gesandte von beiden Seiten verhandelt worden sein, dass die Ägypter ihre Geräte wiederforderten, die Hebräer aber ihren Tagelohn verlangten. Doch haben die Ägypter dabei aus Gerechtigkeit auf diese Gefässe verzichtet.23) Heute machen die Hebräer gegen die Marcioniten noch ein Mehreres geltend und sagen, so viel Gold und Silber sie auch erhalten haben mögen, so reiche es doch zur Entschädigung nicht hin, wenn die von 600 000 Mann so viele Jahre hindurch verrichteten Arbeiten auch nur zu einem Groschen täglich geschätzt würden. Welche von beiden Partieen hat die Mehrzahl? die, welche die Gefässe zurückverlangen, oder die, welche die Weiler und Städte bewohnen? Ist das Klageobject der Ägypter bedeutender oder die Gnade für die Hebräer? Setzen wir den Fall, die Hebräer hätten den Ägyptern eine blosse Klage wegen Beeinträchtigung entgegengestellt, indem sie als freie Menschen zur Zwangsarbeit gezwungen worden waren, und dem Amtsschreiber vor seinen Gerichtsschranken nur ihre durch schmachvolle und grausame Geisselhiebe zerfleischten Schultern gezeigt, so würde er das Urteil gesprochen haben, man müsse die Hebräer nicht bloss mit den paar Schüsseln und Bechern der Reichen, die natürlich an Zahl überall geringer sind, sondern mit deren gesamter Habe und durch Beisteuern sämtlicher Volksangehörigen entschädigen.

War also die Sache der Hebräer die gerechte, so ist auch sofort die Sache des Schöpfergottes gerecht, d. h. sein Befehl, wodurch er die Ägypter, ohne dass sie darum wussten, zur Erkenntlichkeit zwang und sein Volk zur Zeit des Auszuges wenigstens durch den kleinen Trost einer geheimen Schadloshaltung zufriedenstellte. Offenbar hat er ihm noch zu wenig mitzunehmen befohlen. Eigentlich hätten die Ägypter den Hebräern auch ihre Söhne wieder erstatten müssen.

21. In ähnlicher Weise macht man ihm auch in den übrigen Fällen Zuwiderhandlungen gegen seine Gebote zum Vorwurf: er sei wankelmütig und unbeständig; er verbiete, am Sabbat zu arbeiten, und befehle dennoch, bei der Belagerung der. Stadt Jericho die Bundeslade acht Tage hindurch, d. h. also auch am Sabbat, herumzutragen.24) ---- Nicht einmal das Gesetz in betreff des Sabbats durchschaust Du richtig; es verbietet bloss menschliche Arbeiten, nicht aber solche für Gott. An sechs Tagen, heisst es, sollst du arbeiten und alle deine Verrichtungen besorgen, am siebenten Tage aber sind die Sabbate für den Herrn, deinen Gott; an ihm sollst du keine Arbeit verrichten. Welche Arbeiten nicht? Offenbar die für dich bestimmten. Denn es ist logische Notwendigkeit, dass er für den Sabbat die Arbeiten verbietet, welche er für die sechs Wochentage angesagt hatte, nämlich die deinigen, d. h. die menschlichen und alltäglichen. Die Bundeslade herumzutragen kann aber weder als eine alltägliche noch als eine niedere menschliche Arbeit angesehen werden, sondern es ist etwas Ungewöhnliches, Heiliges und, infolge der damaligen Vorschrift Gottes, ganz gewiss etwas Göttliches.

Ich würde mich auch darüber noch verbreiten, anzugeben, was das bedeutete, wäre es nicht zu weitläufig, den figürlichen Sinn aller solcher weisen Anordnungen des Schöpfergottes darzulegen, die man dann vielleicht doch nicht einmal zugeben würde. Von grösserem Belang ist es, wenn Ihr in ausgemachten Sachen des Irrtums überwiesen werdet durch die nackte Wahrheit, nicht durch Grübeleien. So ist denn auch jetzt die Unterscheidung in betreff des Sabbats, dass er nur die Arbeiten für die Menschen, nicht die Gottes verbiete, eine ausgemachte Sache. Darum wurde der, welcher am Sabbate Holz holen gegangen war, mit dem Tode bestraft. Denn er hatte eine Arbeit zu seinem Nutzen verrichtet, was durch das Gesetz verboten war. Diejenigen aber, welche die Bundeslade am Sabbat umhertrugen, thaten es, ohne gestraft zu werden. Denn sie verrichteten keine Arbeit für sich, sondern für Gott, und zwar wohl gemerkt infolge seines eigenen Befehls.

22. Wenn er ferner befiehlt, von all den Dingen, welche am Himmel, auf der Erde und im Wasser sind, keine Abbildungen zu. machen, so lässt er ebenso auch die Veranlassung davon erkennen, nämlich die Gegenstände zur Abgötterei zu beseitigen.25) Denn er setzt sogleich bei: Ihr sollt sie nicht anbeten und ihnen nicht dienen. Das eherne Bild der Schlange aber, welches der Herr nachher dem Moses anzufertigen befahl, gehörte nicht in die Kategorie des Götzendienstes, sondern diente zur Heilung derer, welche durch die Schlangen in Not geraten waren. Von der Symbolik dieses Heilmittels schweige ich. So dienten auch die goldenen Bildnisse der Cherubine und Seraphine offenbar als eine einfache Verzierung zu der vorbildlichen Darstellung der Bundeslade. Zum blossen Schmuck dienlich hatten sie einen Zweck, der vom Götzendienst, um dessentwillen die Abbilder verboten werden, sehr fern lag und waren dem Gesetze, welches Abbilder verbot, keineswegs entgegen, da man an ihnen kein Bildnis von der Beschaffenheit findet, um derentwillen eigentlich Bildnisse verboten werden.

Über die so wohlbegründete Einsetzung der Opfer haben wir bereits gesprochen. Sie übertrug nämlich die betreffenden Leistungen von den Idolen auf Gott, und wenn dieser mit den Worten: "Was soll mir die Menge Eurer Opfer"26) sie wiederum verworfen hat, so wollte er damit eben nur zu verstehen geben, dass er sie nicht im eigentlichen Sinne für sich gefordert habe. "Denn ich will nicht", sagt er, "das Blut von Stieren trinken",28) Wenn er auch die Opfergaben Abels beachtete und das Brandopfer Noes gern roch, was können ihm dann die Eingeweide von Hammeln oder der Fettdunst von verbrannten Schlachtopfern für ein Vergnügen bereiten?

Die lautere und gottesfürchtige Gesinnung derer, die opfern, was sie an Nahrung und Wohlgerüchen von Gott erhalten haben, galt dagegen als Dankbarkeit bei Gott, der nicht eigentlich das, was geschah, forderte, sondern das Motiv, weswegen es geschah, nämlich zur Ehre Gottes. Wenn ein Unterthan einem Reichen oder einem König, der nichts von ihm verlangt, dennoch irgend ein kleines, dürftiges Geschenk darbringt, wird dann die Geringfügigkeit oder der Unwert des Geschenkes dem Reichen und dem König Unehre bringen? Oder wird ihm der Titel, unter dem die Leistung geschieht, Freude machen? Bringt ihm dagegen der Unterthan die Geschenke dar, wie es sich gebührt, sei es von selbst oder weil es ihm anbefohlen ist, beobachtet er die Feste des Königs, thut es aber nicht aus Treue, nicht aus lauterer Gesinnung, nicht mit vollständigem Gehorsam in sonstiger Hinsicht, wird dann nicht die Folge davon sein, dass der König oder der Reiche ausruft: Was soll mir die Menge Deiner Geschenke?

"Ich habe die Feierlichkeiten, Festtage und Eure Sabbate satt"! "Eure", sagt er, weil sie sie nach ihrem Behagen, nicht aus Religiosität feierten und sie somit schon zu ihren eigenen, nicht zu Gottes Feiertagen gemacht hatten. Dadurch gab er zu erkennen, dass die Zurückweisung der Leistungen, die er gleichwohl vorgeschrieben hatte, nur eine bedingte, darum aber eine wohlbegründete sei.

23. Wollt Ihr aber zu verstehen geben, er verfahre in der Behandlung von Personen leichtsinnig, wenn er Leute, die sich lange bewährt haben, verwirft, und handle ohne Umsicht, wenn er solche, die er verwerfen muss, manchmal lobt und damit sozusagen, entweder seine früheren Urteile umstösst oder seine zukünftigen noch nicht vorhersieht ---- so sage ich dagegen, nichts steht einem guten Richter so sehr an, als zu verwerfen und auszuerwählen nach den jedesmaligen Verdiensten. Saul wird auserwählt, aber zur Zeit, als er dem Propheten Samuel noch nicht seine Verachtung kundgegeben hatte. Salomon wird verworfen, aber erst nachdem er sich bereits den ausländischen Weibern ergeben und sich an die Götzen der Moabiter und Sidonier gehängt hatte. Was hätte der Schöpfergott thun sollen, um sich dem Tadel der Marcioniten nicht auszusetzen? Sollte er die, welche noch gut handeln, wegen ihrer künftigen Vergebungen bereits verdammen? Aber als guter Gott konnte er die, welche es noch nicht verdienten, nicht zum voraus verdammen. Oder, sollte er vielleicht die, welche jetzt sündigen, nicht verwerfen aus Rücksicht auf ihre früheren guten Handlungen? Aber ein guter Richter konnte nicht, nachdem die früheren Handlungen schon annulliert, Verbrechen nachsehen. Oder welcher Mensch ist ohne Sünde, so dass ihn Gott stets auserwählen musste und ihn niemals hätte verwerfen können? Oder wer ist andererseits so ohne jedes gute Werk, dass ihn Gott immer verwerfen musste und ihn niemals auserwählen konnte? Man zeige mir jemand, der immer gut war, und er wird nicht verworfen werden. Man zeige mir jemand, der immer schlecht war, und er wird niemals angenommen werden. Wofern es sich aber um einen und denselben Menschen handelt, so wird derselbe, wenn er beides war, nach beiden Beziehungen, von dem gütigen und dem richtenden Gott seine Vergeltung erhalten. Derselbe wechselt nicht aus Leichtsinn oder Mangel an Voraussicht seine Ansichten, sondern teilt nach einer sehr ernsten und umsichtigen Beurteilung aus, was man zu jeder Zeit verdient.

24. Ebenso gibt man bei ihm auch "der Reue" eine falsche Deutung, als empfinde er sie aus Unbeständigkeit, Mangel an Voraussicht oder gar im Bewusstsein eines Vergehens. Er habe z. B. gesagt: "Es reut mich, dass ich Saul zum König gemacht habe," und man präskribiert dabei, Reue bedeute so viel als das Bekenntnis, etwas Böses oder eine Verirrung begangen zu haben. 29) Aber so ist es nicht immer. Denn beiguten Thaten geschieht das Bekenntnis, man bereue sie, um die Person anzuschuldigen und anzuklagen, die sich gegen eine Wohlthat undankbar gezeigt hat. So wurde denn auch seiner Zeit hinsichtlich der Person Sauls vom Schöpfergott der Ausspruch gethan, man müsse ihr Ehre erweisen. Derselbe hat durchaus nicht gefehlt, als er den Saul zum Königtum erhob und mit dem hl. Geist ausrüstete; denn er hatte ihn mit Fug und Recht auserwählt, "als er noch sehr gut und seinesgleichen, heisst es, unter den Söhnen Israels nicht zu finden war."30) Allein Gott hatte auch recht wohl gewusst, dass es so kommen würde. Jedermann wird es unerträglich finden, dass man Gott des Mangels an Voraussicht beschuldigt, obwohl man ihm doch die Gottheit nicht abspricht und ihm damit auch die Voraussicht beilegt. Denn darin besteht die ihm eigene Gotteswürde. Für das schlechte Betragen Sauls war aber das Geständnis seiner Reue, wie gesagt, um so gravierender. Denn da in der Wahl des Saul kein Fehler lag, so muss man jene Reue notwendigerweise mehr für eine Äusserung des Unwillens als für eine Selbstanklage ansehen.

Aber siehe, wendet man ein, eine Selbstanklage finde ich da, wo es sich um die Niniviten handelt; denn das Buch Jonas sagt: "Und es reute Gott das Unheil, das er ihnen angedroht hatte, und er that es nicht."31) So sprach auch Jonas selbst zum Herrn: "Deswegen bin ich vorweg nach Tarsus geflohen, weil ich erkannt hatte, dass Du barmherzig und zum Mitleide geneigt, langmütig und sehr erbarmend bist, und dass das Unheil Dich gereut."32) Es war also ganz recht von ihm, dass er den Titel sehr guter Gott voranstellte, der nämlich höchst langmütig gegen die Bösen, reich an Mitleid und Erbarmen gegen die ist, welche ihre Sünden erkennen und beweinen, wie damals die Niniviten. Wenn, wer so beschaffen, sehr gut ist, so wirst Du vorerst von der Behauptung abstehen müssen, dass bei einem solchen, d. h. höchst guten Wesen auch die Bosheit Zutritt erhalte. Und weil auch Marcion dafür einsteht, dass ein guter Baum keine schlechten Früchte tragen dürfe, Gott aber trotzdem den Ausdruck "Bosheit" gebraucht hat,33) die bei dem höchst guten Wesen nicht eintreten kann, so frage ich, liegt obigem Ausdrucke irgend eine Bedeutung zu Grunde, wonach mau "Bosheiten" anzunehmen hat, die sogar bei einem höchst guten Wesen eintreten können? Antwort: Ja, es liegt ihm eine solche zu Grunde.

Ohne Annahme einer Beziehung auf diese Bibelstelle und eines Subjektswechsels würde das Ganze unverständlich bleiben.

Daher sagen wir also, "Bosheit" bedeutet hier nichts, was sich auf die Wesenheit des Schöpfergottes als solche bezöge, als sei er böse, sondern geht auf seine Macht als Richter. In dieser Eigenschaft hat er den Ausspruch gethan: "Ich bin es, der das Üble schafft"34) und "Siehe, ich schicke Übel gegen Euch aus";35) nicht Übel der Sünde, sondern Übel der Strafe, und die Vorwürfe gegen diese letztere haben wir, weil wohl verträglich mit seiner Eigenschaft als Richter, hinlänglich widerlegt.36) So wie sie, obwohl sie Übel heissen, doch am Richter nicht zu tadeln sind, und auch trotz dieses ihres Namens doch den Richter nicht als böse erscheinen lassen, so wird unter dieser Art Bosheit jetzt also diejenige zu verstehen sein, welche als Folge der Übel des Richteramtes angesehen mit diesem dem Richter wohl ansteht. Auch bei den Griechen wird das betreffende Wort37) zuweilen für Heimsuchung und Schäden, nicht für Bosheit im eigentlichen Sinne gesetzt, so hier auch.

Wenn den Schöpfergott diese "Bosheit" also reute, nämlich dass er seine Kreatur hatte verwerfen und wegen ihrer Sünde strafen müssen, so wird man gleichwohl auch dieses Vorkommnis nicht als eine Selbstanklage des Schöpfergottes ansehen dürfen, da sein Beschluss, die ganze gottlose Stadt zu vertilgen, ein ganz gerechtfertigter gewesen war. Was er so nicht in "Bosheit", sondern in gerechter Weise beschlossen hatte, das war also auch aus Gerechtigkeit, nicht aus Bosheit beschlossen worden. Er hat die Strafe selbst "Bosheit" genannt, wegen des Übels und der Schuld des Leidens selber.

Wenn man, wirst Du mir nun einwenden, die Bosheit also mit der Gerechtigkeit entschuldigt und Gott mit Recht den Untergang der Niniviten beschlossen hatte, so ist er doch immer noch anzuklagen, weil er einen gerechten Entschluss bereute, den er nicht bereuen durfte. ---- Nein, antworte ich, seiner Gerechtigkeit wird es Gott nicht gereuen, und es ist uns jetzt noch die Aufgabe übrig, zu erkennen, was die Reue Gottes sei. Wenn der Mensch meistens uns beim Andenken an seine Sünden, zuweilen auch wegen des Undankes, den ein gutes Werk gefunden, Reue empfindet, so ist es darum bei Gott noch nicht auch so. So wenig als Gott Böses begeht oder etwas Gutes verurteilt, ebensowenig gibt es auch bei ihm eine Reue über Gut oder Bös. Auch darüber hat die hl. Schrift Dir eine bestimmte Erklärung gegeben, indem Samuel zu Saul sagt: "Heute hat der Herr, Dein Gott, Israel Dir aus Deiner Hand gerissen und wird es Deinem Nächsten geben, der besser ist als Du",38) und Israel wird in zwei Teile zerrissen werden. "Er wird sich nicht anders besinnen und es bereuen, weil er nicht ist wie ein Mensch, um zu bereuen".39)

Durch letztere Erklärung ist also in allen Fällen eine andere Norm für die Reue Gottes statuiert; sie darf weder aus Mangel an Voraussicht, noch aus Leichtsinn, noch aus der Verwerfung einer sei es guten oder schlechten Handlung hergeleitet werden wie die menschliche Reue. Welches wird nun die Art und Weise der göttlichen Reue sein? Das wird klar werden, wenn man sie nur nicht in die menschlichen Verhältnisse herabzieht. Sie wird nämlich für nichts anderes zu halten sein als für einfache Abänderung eines frühem Beschlusses, welche ebenfalls, ohne einen Tadel gegen sich hervorzurufen, statthaben kann, sogar bei einem Menschen, geschweige denn bei Gott, bei welchem jeder Beschluss von Schuld frei ist. Auch die griechische Bezeichnung für Reue40) ist nicht vom Eingeständnis einer Schuld, sondern von der Sinnesänderung hergenommen, die, wie wir gezeigt haben, bei Gott sich nach dem Eintritt wechselnder Vorgänge richtet.

25. Ich will nun, um alle derartigen Schwierigkeiten zu erledigen, zur Erklärung und Rechtfertigung dessen weiter gehen, was Ihr sonst noch als Kleinlichkeiten, Schwächen und Unzukömmlichkeiten ansehet. Gott ruft: "Adam, wo bist Du!" ---- natürlich ohne zu wissen, wo er ist ---- und nachdem derselbe Scham wegen seiner Nacktheit vorgeschützt, fragt Gott ihn, ob er etwa von dem Baume gegessen habe, natürlich, weil er seiner Sache nicht gewiss war. Nein, im Gegenteil, er wusste um das Vergehen sehr gut und kannte Adams Versteck recht wohl. Allerdings war es nötig, dass Adam, der sich im Bewusstsein seiner Schuld verborgen hielt, nicht durch blossen Namensaufruf, sondern allsogleich mit einer Rüge seiner That vor das Angesicht Gottes gerufen wurde. Denn es ist nicht etwa im einfachen Frageton zu lesen: "Wo bist du, Adam," sondern im Tone des Nachdrucks, der Eindringlichkeit und des Vorwurfes: Adam, wo bist du? d. h. in der Verdammnis, d. h. du bist schon nicht mehr hier, so dass der Ruf ein Ausruf des Vorwurfs und der Klage über diesen Ausgang ist.

Im übrigen aber, wenn Gott den ganzen Erdkreis in seiner Hand hält wie ein Vogelnest, wenn der Himmel sein Sitz und die Erde sein Fussschemel ist, was Wunder dann, wenn sich seinem Auge ein Teil des Paradieses entzog, so dass er nicht sah, wo sich Adam vor dem Aufruf herumtrieb, und derselbe ihm verborgen blieb und von der verbotenen Frucht ass!? Dem Hüter deines Weinberges oder Gartens entgeht kein Wolf und kein Dieb. Auch dem lieben Gott, glaube ich, der von einer ganz andern Höhe herabschaut, wird nichts, was unter ihm steht, entgehen können.

Thor, der Du über einen solchen Beweis göttlicher Güte und der Sorge für Belehrung der Menschen die Nase rümpfest! Gott fragte wie ein Unkundiger, um den Menschen auch bei dieser Gelegenheit als ein Wesen mit freiem Willen hinzustellen in einer Sache, wo er leugnen oder eingestehen konnte, und ihm so Gelegenheit zu geben, seine Sünde von freien Stücken zu bekennen und sie dadurch in etwa zu vermindern. So wird auch Kain gefragt, wo sein Bruder sei? Das klingt, als wenn Gott das Blut Abels noch nicht von der Erde zum Himmel hätte schreien hören. Es geschah aber, damit Kain Gelegenheit hätte, kraft desselben freien Willens seine Sünde zu leugnen und sie dadurch zu erschweren. Es sollten uns damit Beispiele dargeboten werden, die Sünden lieber zu bekennen als zu leugnen und damals schon die Keime zu der Lehre des Evangeliums gelegt werden. "Nach deinen eignen Worten wirst Du gerechtfertigt und nach deinen eignen Worten wirst Du verdammt werden."41)

Obschon Adam um der Beschaffenheit des ihm gegebenen Gesetzes willen dem Tode überliefert werden musste, so blieb ihm doch die Hoffnung, gemäss dem Ausspruch des Herrn: "Siehe, Adam ist geworden wie einer aus uns"42), was sich, wohlgemerkt, auf die zukünftige Aufnahme des Menschen in die Gottheit43) bezieht. Denn, was folgt darauf? "Und nun, dass er nicht etwa seine Hand ausstrecke, vom Baume des Lebens nehme und lebe ewiglich." Indem Gott nämlich die Zeitpartikel der Gegenwart hinzusetzt: "Und nun" gibt er zu erkennen, dass er einen zeitweiligen und auf die Gegenwart beschränkten Aufschub des Lebens habe eintreten lassen. Deshalb sprach er auch den Fluch über Adam und Eva selber nicht aus, da sie, als durch ihr Eingeständnis wieder entlastet, die Anwartschaft auf Erlösung besassen. Kain dagegen wurde verflucht und durfte, obwohl er dies Verbrechen durch seinen Tod zu sühnen begehrte, vorläufig noch nicht sterben, weil er, abgesehen von seiner That, auch noch mit der Ableugnung derselben belastet war.

So also ist es mit dem Nichtwissen unseres Gottes bestellt. Es wurde nur deshalb fingiert, damit der sündige Mensch nicht in Unwissenheit bleibe über das, was er zu thun habe. ---- Aber nach Sodoma und Gomorha hinabsteigend sagt Gott: "Ich will zusehen, ob sie gethan haben, wie das Gerücht sagt, das zu mir gedrungen ist, wofern aber nicht, so will ich es wissen."44) Auch hier ist er natürlich infolge seines Nichtwissens im unklaren und begierig, etwas zu erfahren! Oder war dieser Ton der Rede, der unter dem Schein des Nachforschens nicht einen zweifelnden, sondern einen drohenden Sinn enthält, etwa hier nicht notwendig? Sollte Dir auch das Herabsteigen Gottes lächerlich vorkommen, als hätte er auf andere Weise, ohne herabzusteigen, sein Urteil nicht zum Abschluss bringen können, so siehe erst zu, ob das Deinen eigenen, den marcionitischen Gott nicht auch trifft! Denn er ist ja auch herabgestiegen, um sein Vorhaben ins Werk zu setzen.

26. Aber Gott schwört ja auch? ---- Schwört er vielleicht beim Gotte Marcions? Nein, noch viel thörichter, heisst es! Er schwört bei sich selbst. Was hätte er denn thun sollen, wenn in seinem Bewusstsein kein anderer Gott existierte, zumal, wenn er gerade diese Thatsache beschwor, dass es einen andern Gott nicht gehe. Welches ist also der Fehler, auf welchem Du ihn hier ertappest? Hat er einen Meineid geschworen oder war sein Schwur ein thörichter? Einen Meineid kann er nicht geschworen haben, da er, wie Ihr behauptet, vom Dasein eines andern Gottes nichts wusste. Wenn er das beteuert, was er weiss, so hat er wahrhaftig keinen Meineid geschworen. Zweitens seine Beteuerung, es gebe keinen andern Gott, war auch keine thörichte. Dieselbe wäre nämlich nur dann eine thörichte gewesen, wenn es gar keine Leute gegeben hätte, die an das Vorhandensein anderer Götter glaubten, wie die Götzendiener damals und die Häretiker jetzt. Er schwört also bei sich selbst, damit man wenigstens auf den Schwur eines Gottes hin glaube, dass es keine andere Götter gebe. Dass Gott so verfuhr, dazu hast auch Du, Marcion, ihn gezwungen. Denn es wurde damals bereits an Dich gedacht. Wenn er ferner bei Verheissungen oder Drohungen schwört und damit gleich von vornherein einen hohen Glauben fordert, so kann Gottes nicht unwürdig sein, was die Ursache davon ist, dass man ihm glaubte.

Sehr kleinlich verfuhr Gott sogar bei seinem grössten Zorne, damals, als er, wegen der Verehrung des Kalbes gegen das Volk aufgebracht, von seinem Diener Moses verlangte: "Lass mich, aufgebracht in meinem Zorne, werde ich das Volk verderben und Dich zu einem grossen Volke machen".45) ---- Auf Grund dieses Ausspruchs pflegt Ihr zu behaupten, Moses sei besser als sein Gott, da er dessen Zorn durch Bitten abwende, ja eigentlich verhindere. "Thue das nicht," sagte er nämlich, "oder vertilge mich mit ihnen." Ihr seid selber mit dem Volke zu bedauern, dass Ihr Christum nicht erkennt, der in der Person des Moses vorgebildet ist, wie er dem Vater abbittet und sein eignes Leben für das Heil des Volkes darbringt. Aber es reicht hin, dass dem Moses das Volk, wenn auch nur für den Augenblick, im eigentlichen Sinne geschenkt wurde. Dass dies der Knecht vom Herrn erbitten solle, das hatte der Herr selbst von ihm erbeten. Denn er sagte zu seinem Knechte: "Lass mich und ich will sie verderben", in der Absicht, dass jener diese. Forderung stelle, sich selbst darbiete und es eben dadurch nicht zulasse, damit Du so lernen möchtest, wie grosse Freiheiten der Gläubige und Prophet bei Gott geniesse.

27. Um in Kürze gleich auch das übrige abzuthun, was Ihr zur Beseitigung des Schöpfergottes sonst noch vermeintlich als kleinliche, schwächliche und Gottes unwürdige Handlungen zusammentragt, so stelle ich in ganz einfacher und bestimmter Weise den Satz auf: Gott hätte überhaupt in gar keine Beziehungen zu den Menschen treten können, wenn er nicht menschliche Empfindungen und Affekte angenommen hätte. Durch sie schwächte er die der menschlichen Schwäche sonst unerträgliche Grosse seiner Majestät in einer Art von Erniedrigung, ab, die seiner allerdings unwürdig, für den Menschen aber notwendig war. Dadurch wurde sogar diese Erniedrigung Gottes würdig, weil nichts Gottes würdiger ist, als die Errettung des Menschen.

Über diesen Punkt würde ich mehr sagen, wenn ich mit Heiden zu thun hätte, obwohl sich der Streit auch den Häretikern gegenüber nicht sehr viel anders stellt. Denn da Ihr Euch bereits zu dem Glauben bekennt, Gott habe unter menschlicher Gestalt und auch im übrigen dem Verlauf des menschlichen Daseins entsprechend auf Erden verweilt, so werdet Ihr doch wohl nicht mehr fordern, dass man Euch erst noch lange die Überzeugung beibringe, Gott habe sich der Menschheit konform gemacht, sondern Ihr werdet mit Eurer eigenen Glaubenslehre widerlegt. Wenn nämlich Gott, und zwar der oberste Gott seine erhabene Majestät so tief erniedrigte, dass er sich dem Tode, und noch dazu dem Kreuzestode unterwarf, warum wollt Ihr dann nicht annehmen, dass auch unserm Gotte einige Schwächen augestanden haben, welche doch noch erträglicher sind, als sich durch die Juden beschimpfen, kreuzigen und begraben zu lassen?

Oder sind das nicht die Schwächen, welche schon dadurch allein das Vorgefühl erwecken müssen, Christus, der menschlichen Leiden ausgesetzt war, sei der Gesandte desjenigen Gottes, dem Ihr die menschlichen Schwächen zum Vorwurfe macht? Ich glaube wohl, denn wir bekennen ja auch, dass Christus immer im Namen Gottes des Vaters gehandelt habe, dass er von Anfang an mit den Patriarchen und Propheten gewandelt und umgeganger sei, er, der Sohn des Schöpfers, sein Wort, den er aus sich selbst hervor nahm und so zu seinem Sohn machte, den er sodann über alle seine An Ordnungen und seine Willensentschlüsse setzte und ihn ein wenig unter die Engel erniedrigte, wie es bei David heisst.47) Evangelium bewiesen sein, wo Christus sagt: "Niemand hat den Vater gesehen als der Sohn"483). Denn er war derselbe, der auch im Alten Testament verkündig hatte: "Niemand wird Gott sehen und leben",49) womit er den Vater für unsichtbar erklärt, in dessen Autorität und Namen er, der als der Sohn Gottes erschien, selbst Gott war. Aber bei uns wird Christus in der Person Christi auch angenommen, weil er auf diese Weise der unsrige ist.50)

Was Ihr also als Gottes würdige Dinge fordert, das ist vorhanden bei dem unsichtbaren und unnahbaren Vater, welcher der, so zu sagen, nicht beunruhigte Gott der Philosophen ist. Was Ihr aber als Gottes unwürdig tadelt, das wird auf den Sohn übertragen werden, der gesehen und gehört wurde, der mit den Menschen umging, der, Vertreter und Diener der Gottheit, in sich den Gott und Menschen vereinigt, der seiner Macht nach Gott, in seinen Schwächen Mensch, dem Menschen so viel zubringt, als er Gott entzieht. So bildet denn also das ganze, was bei Euch als Schmach meines Gottes gilt, das Geheimnis der menschlichen Erlösung! Gott wandelte auf Erden, damit der Mensch das Göttliche thun lerne. Gott handelte in gleicher Weise wie der Mensch, damit der Mensch in gleicher Weise wie Gott handeln könne. Gott stellte sich als gering dar, damit der Mensch gross werde.

Wer einen solchen Gott verschmäht, von dem weiss ich nicht, ob er, auf dem Grunde des Glaubens stehend, an einen gekreuzigten Gott glauben könne. Wie verkehrt verhaltet Ihr Euch also in bezug auf beide Thätigkeiten des Schöpfergottes! Ihr bezeichnet ihn als Richter und die dem Verdienst der Thaten entsprechende richterliche Strenge scheltet Ihr Grausamkeit. Ihr verlangt einen guten Gott, und wenn seine Milde, wie sie zur Güte gehört, der Fassungskraft der menschlichen Armseligkeit entsprechend, demütig zu Werke geht, so setzt Ihr sie als kleinlich herunter. Erhaben gefällt er Euch nicht, gering auch nicht; als Richter gefällt er Euch nicht, als Freund auch nicht. Wie wäre es nun, wenn man dieselben Eigenschaften auch an Eurem Gott entdeckte?

Dass er Richter sei, haben wir in dem ihn betreffenden Buche schon gezeigt, als Richter aber kann er es nicht vermeiden, streng zu sein, und wenn er streng ist, dann ist er auch grausam, ---- aber nur, wenn er grausam sein kann.

28. Nun will auch ich meinerseits zu der sogenannten Kleinlichkeit, der Bosheit und den sonstigen tadelnden Bemerkungen GegenAntithesen29. Ich hätte übrigens auch die Antithesen Marcions eingehender angegriffen, wenn eine einlässlichere Widerlegung derselben nötig wäre, um die Wahrheit zu behaupten, der Schöpfergott sei beides, gütig und gerecht, entsprechend den für beides angeführten Belegen, die alle Gottes würdig sind. Wenn beide Eigenschaften, Güte und Gerechtigkeit, zur würdigen Vervollständigung der Gottheit dienen, die alles können muss, so kann ich mich einstweilen damit begnügen, die Antithesen kompendiarisch zurückgewiesen zu haben, obwohl sie sich schmeicheln, auf Grund der Beschaffenheit der Ideen, Gesetze und Kräfte Gottes einen Unterschied aufgestellt und so Christus vom Schöpfergott gesondert zu haben, den gütigen vom gerechten, den milden vom grausamen, den Heilbringenden vom Verderber. Dieselben dienen vielmehr dazu, die beiden Wesen, deren Dasein sie auf derartige Verschiedenheiten gründen, wie sie sämtlich auf Gott passen, zu einer Einheit zusammenzuschmelzen. Man nehme nur den von Marcion gewählten Titel, so wie die Tendenz und Absicht der Schrift selbst hinweg, und sie wird zu nichts weiter dienen, als zum Beweise dessen, dass der gütige und der richtende Gott einer und derselbe sei, weil beides auf einen Gott passt. Auch sein Streben, in diesen Analogieen Christus in einen Gegensatz zum Schöpfer zu bringen, führt eher wieder zur Einheit. So sehr war nämlich infolge eben derselben Analogieen und ähnlicher Beispiele die Wesenheit für beide Gottheiten, für die gütige sowohl als für die strenge, eine einzige, dass sie ihre Güte auch da kundthun wollte, wo sie vorher ihre Strenge bethätigt hatte. Denn eine zeitliche Verschiedenheit, wenn Gott nachher bei gemilderter Sachlage milder auftrat, nachdem er früher bei ernsterer Sachlage strenger gewesen war, hat ja gar nichts auffallendes. So kann also mit Hilfe der Antithesen leichter dargethan werden, dass die Anordnungen des Schöpfers durch Christus nachher, nicht sowohl verworfen als reformiert, nicht sowohl beseitigt als wieder hergestellt worden sind, um so mehr, als Du von Deinem Gott jede bittere Regung ausschliessest, und damit natürlich auch alle Feindschaft gegen den Schöpfergott. Wenn dem so ist, wie kann durch die Antithesen der Nachweis geliefert werden, dass er die einzelnen Richtungen des Schöpfergottes angefeindet habe?

Ich werde durch sie folglich erkennen, dass mein Gott auch darin ein Eiferer ist, der im voraus mit vollem Rechte dafür gesorgt hat, dass seine kräftigeren Schöpfungen durch eine in den Uranfängen gute, weil vernünftige Anfeindung zur Reife kämen. Seine Antithesen werden in den Gegensätzen der Elemente sogar von der Welt selbst anerkannt, die trotzdem mit der höchsten Weisheit eingerichtet ist. Darum hättest Du, o unbedachtsamer Marcion, nachweisen müssen, dass der Gott des Lichtes ein anderer sei als der der Finsternis. Dadurch hättest Du eher die Überzeugung von einer Verschiedenheit des Gottes der Güte und des Gottes der Strenge begründet. Im übrigen aber dürfte die Antithese dem zugehören, dem sie auch in der Welt zugehört.


Anmerkungen

1 Is. 40. 13, ff.

2 Rom. 11, .33 f.

3 D. i. durch die Offenbarungslehre.

4 Häresie stammt bekanntlich von αἱρείν vorziehen, wählen.

5 Ps. 44, 2.

6 Offenb. .Joh. 32, 15.

7 Joh. 10, 25.

8 Ezech. 18, 23

9 Ps. 104, 4.

10 Die Prophezie Ezech. a. 28, 11 ff. lautet dein Buchstaben nach auf Tyrus, wird aber auch von anderen Kirchenvätern so gedeutet, wie hier von Tertullian

11 Luk. 10, 18.

12 Nach der Emendation von Öhler: censum, welches zuweilen wie hier von einer Reihe gleichartiger Dinge gebraucht wird, z. B. census piscium de an. 32.

13 Unter den vorhandenen Lesarten und Konjekturen scheint mir die des Latinius die beste: Separationem earum non potes capere.

14 V. Mos. 6, 5

15 IV. Mos. 19, 14

16 Is. 45, 7.

17 Oben Is. 45,7.

18 Jerem. 31, 39.

19 Deut. 33, 35; Rom. 12, 19.

20 Ps. 132, 1

21 Ps. 1, 3.

22 II. Mos. 3, 22; 11, 2 und 12, 36.

23 Die Lesarten variieren an dieser Stelle.

24 II. Mos 20, 9.

25 Substantiam cohibens; die Lesarten schwanken

26 Is. 1, 11.

27 Is. 40, 28

28 Ps. 50, 13.

29 I. Sam. 15, 11

30 I, Sam. 9, 2.

31 Jon. 3, 10.

32 Jon. 4, 2.

33 Jon. 3, 10, malitiam, quam locutus fuerat, ut faceret et non fecit.

34 Is. 45, 7, creans malum Vulg.

35 Jer. 18, 11

36 Oben Cap. 14..

37 Κακία

38 I. Kön. 15, 28

39 Ebend. 15, 29. Die dazwischen stehenden Worte "und Israel u. s. w." finden sieh nicht in der Vulgata

40 Μετάνοια

41 Matth. 12, 37.

42 I. Mos. 3, 22

43 In der Incarnation.

44 I. Mos. 18, 21.

45 II. Mos. 32.10

46 Ps. 8, 6.

47 Uns und den Marcioniten.

48 Matth. 11, 27.

49 D. h. d.h. uns gilt Christus auch als das, was er wirklich ist hinsichtlich der Gottheit und Menschheit, während Marcion in ihm nur ein Scheinwesen sieht.

50 II. Mos. 23, 20.

51 Das dogmatische Werk des Marcion war bekanntlich Anthitheses betitelt.


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Übersetzt von Heinrich Kellner, 1882.  Übertragen durch Hermann Detering, 2005.

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