Previous PageTable Of ContentsNext Page


|224

ÜBER DIE BUSSE.

[Übersetzt von Dr. K. A. Heinrich Kellner]

[Wenn Sie einen Fehler finden, senden Sie mir bitte eine Email.]

Inhalt:

1. Kap. Reue im gewöhnlichen Sinne bedeutet nur so viel als Änderung der Ansicht über eine frühere Handlung. Manchmal werden auch gute Handlungen bereut.

2. Kap. Reue über die Sünde entspringt aus der Furcht Gottes und bewirkt Besserung des Lebens. Nach dem Sündenfall hat Gott den Weg zur Rückkehr der Menschen zu Gott durch die Reue und Buße geöffnet.

3. Kap. Sünde ist alles, was Gott verbietet. Es gibt Sünden der Tat und Sünden des Gedankens. Die Sünde wurzelt im Willen.

4. Kap. Der Sünder muß Reue haben, Buße tun und sich bessern, dann erhält er Vergebung von Gott.

5. Kap. Warnung vor Rückfall in die Sünde nach der Bekehrung und Annahme des Christentums.

6. Kap. Katechumenen haben vor dem Empfang der Taufe ein bußfertiges Leben zu führen. Denn die Verpflichtung, sein Leben christlich einzurichten, beginnt nicht erst mit dem Empfang der Taufe.

7. Kap. Die Buße im engern Sinne. Der Teufel versucht ganz besonders die Neubekehrten. Gott hat nach der Taufe noch ein zweites Mittel der Wiederversöhnung gestattet.

8. Kap. Beweis dafür aus der Hl. Schrift.

9. Kap. Die sogenannte Exomologesis.

10. Kap. Man braucht sich derselben nicht zu schämen.

11. Kap. Die Scheu vor den damit verbundenen Bußübungen darf davon nicht abschrecken.

12. Kap. Hinweis auf die Höllenstrafen, denen man durch die Buße entgeht.

1. Die Klasse von Menschen, zu der wir selbst früher gehörten, die Blinden, die des Lichtes des Herrn Entbehrenden, kennen die Reue bloß vom Standpunkt |225 der Natur als einen Leidenszustand der Seele, welcher aus der Mißbilligung einer frühern1) Meinung entspringt. Im übrigen aber sind sie von deren eigentlichem Verständnis so weit entfernt, wie von dem Urheber des Verstandes selbst. Denn der Verstand ist etwas Göttliches, weil Gott der Schöpfer aller Dinge ist, weil er alles und jegliches mit Verstand vorgesehen, eingerichtet und angeordnet hat und alles mit Verstand behandelt und angesehen wissen will. Alle, welche Gott nicht kennen, verstehen daher notwendig auch nicht, was Gottes ist, weil eine Schatzkammer Fremden in keinem Fall offen steht. So treiben sie ohne das Steuerruder der Vernunft in allen Verhältnissen und Vorkommnissen des Lebens umher und können den der Welt drohenden Sturm nicht vermeiden. Wie unvernünftig sie sich aber inbetreff der Reue verhallen, das kann man mit der einen Bemerkung genügend dartun, daß sie solche auch bei ihren guten Handlungen empfinden. Es reut sie ihr Glaube, ihre Liebe, ihre Einfalt, ihre Geduld, ihr Mitleid, je nachdem etwas davon auf undankbaren Boden gefallen ist. Sie verwünschen sich selber, weil sie Gutes getan haben. Gerade diese Art von Reue, die man den besten Handlungen anhängt, lassen sie in ihrem Herzen wurzeln und sorgen dafür, daß sie dessen eingedenk sind, nicht wieder etwas Gutes zu tun; der Reue über Böses dagegen liegen sie weniger ob. So geschieht es leichter, daß sie durch Reue sündigen, als daß sie dadurch recht täten.

2. Wenn sie wie Leute, die an Gott und dadurch an der richtigen Vernunft Anteil haben, handeln wollten, so würden sie vorerst die guten Seiten der Reue erwägen und sie niemals dazu anwenden, um ihre nicht löbliche Besserung noch zu verschlimmern2). Sie würden der Reue ein Maß und Ziel setzen, weil sie es auch im Sündigen halten würden, nämlich aus Furcht vor Gott. |226 Aber wo keine Furcht ist, da ist auch keine Besserung; wo keine Besserung ist, da muß die Reue notwendig eine eitle sein, weil sie ihre Frucht nicht bringt, um derentwillen sie von Gott angepflanzt ist, das Seelenheil des Menschen. Nach so vielen und so großen Fehltritten des menschlichen Frevelmutes, die mit dem Stammvater des Menschengeschlechts ihren Anfang nahmen, nachdem der Mensch verurteilt und mit dem Angebinde des Erdenlebens versehen war, nach seiner Ausstoßung aus dem Paradiese und seiner Unterwerfung unter den Tod, ---- ist Gott nämlich eiligst wieder zu seiner Barmherzigkeit zurückgekehrt und hat schon damals in eigener Person mit der Reue den Anfang gemacht, indem er den vorangegangenen Urteilsspruch seines Zornes widerrief und seinem Geschöpfe und Ebenbilde zu verzeihen sich verpflichtete. Und so hat er sich ein Volk zusammengeschart, es mit vielen Spenden seiner Güte begünstigt, es immer wieder, nachdem er es so vielmal höchst undankbar gefunden, zur Reue ermahnt und ihm die Stimmen sämtlicher Propheten gesendet, um zu prophezeien. Obwohl er sofort seine Gnade versprach, die er in den letzten Zeiten durch seinen Geist dem Erdkreise leuchten lassen würde, wollte er doch, daß eine Bußtaufe vorangehe, so zwar, daß er die, welche er aus Gnade zu den dem Samen Abrahams gegebenen Verheißungen berufen hat, vorerst durch Übernahme der Buße vorbereitete. Johannes verschweigt das nicht; er sagt: 'žTuet Buße, denn das Heil steht den Heiden bereits nahe bevor", d. i. der Herr, der die zweite Verheißung Gottes mit sich bringt. Als sein ihm voraneilender Diener bestimmte Johannes die Buße als das zur Reinigung der Seelen vorbehaltene Mittel, so daß alles, was der alte Irrtum verunreinigt, alle Flecken, welche die Unwissenheit im Herzen der Menschen hervorgebracht hatte, mittels der Buße ausgefegt, abgeschabt und hinausgeworfen und das Innere für den nachkommenden Hl. Geist hergerichtet würde als eine reine Wohnung, in welche derselbe mit seinen himmlischen Gütern gern einkehren könnte.

Diese Güter haben nur eine Ursache: Erlösung der |227 Menschen, nachdem die Tilgung der früheren Fehltritte vorausgegangen. Sie ist das Motiv der Buße, sie ist die Wirkung, welche das Walten der göttlichen Erbarmung im Auge hat. Was dem Menschen nützt, das dient auch Gott. Aber der rechte Begriff derselben, den wir mit Hilfe der Erkenntnis des Herrn erlangt haben, bewahrt auch seine bestimmte Form, so daß niemals an die guten Werke und Gedanken gleichsam gewaltsame Hand angelegt wird. Gott nämlich genehmigt den Widerruf der guten Werke nicht, weil sie ihm angehören. Da er ihr Urheber ist, so muß er auch ihr Anwalt sein. Ebenso ist er auch deren Empfänger, und wenn Empfänger, dann auch ihr Belohner. Was liegt also an der Undankbarkeit der Menschen, wenn sie auch zum Bereuen guter Handlungen zwingt?! Was liegt an ihrer Dankbarkeit, wenn das Verlangen danach die Triebfeder zum Gutestun ist?! Beide sind niedrig und irdisch. Denn wie gering ist der Gewinn, wenn man einem dankbaren Menschen eine Wohltat erwiesen hat, und wie gering der Verlust, wenn er undankbar war! Die gute Tat hat Gott zu ihrem Schuldner ebenso wie die böse, weil der Richter auch Vergelter in jeder Sache ist. Wenn dagegen Gott als Richter den Vorsitz führt, wo es gilt, Gerechtigkeit, die ihm das Teuerste ist, zu erlangen und zu behaupten, und wenn er auf sie in seiner Sittenlehre das ganze Hauptgewicht legt, ---- kann man da zweifeln, daß man, wie in allen unsern Handlungen, so auch in Sachen der Reue Gott gerecht werden müsse? Man wird dieses in der Weise erfüllen, daß man sie nur bei begangenen Sünden anwendet. Nur eine schlechte Handlung verdient den Namen Sünde, und niemand verfehlt sich durch Gutestun, Wenn man sich also damit nicht verfehlt, warum läßt man denn da die Reue nicht bei Seite, die ein besonderes Eigentum der Sünder ist? Warum setzt man auf sein Rechttun noch das, was eigentlich der Schlechtigkeit obliegt? So geht es aber; wird etwas am unrichtigen Orte angewendet, dann verabsäumt man es am richtigen.

3. Die Handlungen zu bezeichnen, wobei die Reue wohlangebracht und pflichtmäßig erscheint, mit ändern |228 Worten, was als Sünde anzusehen sei, fordert zwar von uns das Thema; allein es könnte überflüssig erscheinen. Denn wenn man den Herrn erkannt hat, so erhebt sich der Geist, dem sein Schöpfer das Antlitz gnädig zugewandt hat, von selbst zur Erkenntnis der Wahrheit, und in die Gebote des Herrn eingeweiht, wird er durch diese sofort dessen belehrt; man müsse als Sünde ansehen, was Gott verbietet. Weil nun Gott anerkanntermaßen ein erhabenes Gut ist, so wird ihm als dem Guten natürlich nichts mißfallen, als nur das Böse, nach dem Grundsatze, daß unter konträren Gegensätzen keine Freundschaft besteht. Doch soll es uns nicht verdrießen, kurz anzumerken, daß einige Sünden fleischliche, d. h, körperliche, die anderen Geistessünden sind. Denn da der Mensch aus der Vereinigung dieser beiden Substanzen besteht, so sündigt er auch nicht anders, als durch das, woraus er besteht. Der Unterschied beruht jedoch nicht darauf, daß Leib und Seele zwei Dinge sind, ---- im Gegenteil, sie sind um so mehr einander g_leich, weil sie beide ein Wesen bilden. Man darf daher ihre Sünden ja nicht nach der Verschiedenheit der Substanzen unterscheiden und die einen für leichter, die ändern für schwerer halten. Sowohl Fleisch als Geist sind Gottes Werk, das eine durch Gottes Hand gebildet, das andere durch seinen Hauch zur Vollendung gebracht. Da sie in gleichem Grade dem Herrn gehören, so beleidigt jedes von ihnen, wenn es sündigt, in gleichem Grade den Herrn. Oder wolltest du einen Unterschied zwischen den Akten des Fleisches und denen des Geistes machen, da deren Gemeinschaft und Verbindung doch im Leben, im Tode und in der Auferstehung so innig ist, daß sie in jener Zeit, das eine wie das andere auf gleiche Weise, entweder zum Leben oder zum Gerichte auferweckt werden, weil sie in gleicher Weise entweder gesündigt oder unschuldig gelebt haben?

Wir haben dies in der Absicht vorausgeschickt, damit man einsehe, daß jedem Teile allein, wenn er etwas verbrochen hat, die Notwendigkeit, Buße zu tun, ebenso sehr obliege als beiden. Gemeinsam ist beiden |229 die Verschuldung und auch ihr Richter ist ein gemeinsamer, nämlich Gott, gemeinsam ist ihnen mithin auch die Buße als Heilmittel. Geistessünden und körperliche werden sie davon genannt, daß jede Sünde entweder getan oder nur gedacht wird, so daß körperlich das ist, was verwirklicht worden ist, weil das Tatsächliche, gleichsam wie ein Körper, fähig ist, gesehen und betrachtet zu werden; Geistessünde aber ist das, was rein innerlich geblieben, weil der Geist weder sichtbar noch greifbar ist.3) Daraus ist ersichtlich, daß man nicht bloß die Tatsünden, sondern auch die Sünden des Willens meiden und sich durch Reue und Buße davon reinigen müsse. Hat die menschliche Schwäche auch bloß über die Sünde der Tat ein Urteil, weil sie den Heimlichkeiten des Willens nicht beikommen kann, so wollen wir darum dessen Vergehungen Gott gegenüber ja nicht gering schätzen! Gottes Kräfte reichen für alles aus. Nichts, worin überhaupt gesündigt wird, ist seinen Blicken entrückt. Weil ihm nichts unbekannt ist, so übersieht er auch nicht, es für das Gericht zu bestimmen. Für sein durchdringendes Auge gibt es keine Verstellung, keine Winkel- und Doppelzüge.

Ferner, der Wille ist der Ursprung der Tat, mag immerhin manches dem Zufall, der Notwendigkeit oder der Unwissenheit zuzuschreiben sein. Werden diese Fälle ausgenommen, so bleiben nur Willenssünden übrig. Da der Wille also der Ursprung der Tat ist, sollte er da nicht um so mehr der Strafe verfallen sein, je näher er der Schuld steht, welche auch dann nicht wegfällt, wenn irgend eine Schwierigkeit die |230 Ausführung abschneidet? Denn diese selbst wird ihm angerechnet, und er kann nicht entschuldigt werden durch das Mißgeschick im Vollbringen, da er das Seinige getan hat. In welcher Weise endlich kündigt der Herr an, dem Gesetze eine Steigerung hinzufügen zu wollen? Dadurch, daß er auch die Sünden des Willens verbietet, indem er für Ehebrecher nicht bloß die erklärt, die unmittelbar eine fremde Ehe antasten, sondern auch die, welche sie nur durch einen begehrlichen Blick beflecken.

Was zu vollbringen verboten wird, das kann sich die Seele nur mit sehr großer Gefahr vergegenwärtigen; es durch den Willen tatsächlich in Vollzug zu setzen, ist ein Frevel. Da nun die Macht des Willens eine so große ist, daß er, auch ohne seinem Verlangen Genüge geleistet zu haben, schon für die Tat gilt, so wird er auch anstatt der Tat bestraft werden. Es ist also höchst töricht, zu sagen: Ich habe es gewollt, aber nicht getan. Eigentlich mußt du es tun, weil du es willst, oder du darfst es nicht wollen, weil du es doch nicht vollbringst. Dies bekennst du selbst durch das Eingeständnis deines Gewissens. Wenn du nämlich etwas Gutes begehrt hättest, so würdest du es mit Freude ausgeführt haben; folglich hättest du das Böse ebenso wenig begehren dürfen, als du es ausführst. Wohin du dich auch stellst, du verfällst der Anklage, weil du entweder etwas Böses gewollt oder etwas Gutes nicht ausgeführt hast.

4. Er, der für alle Sünden des Fleisches sowohl wie des Geistes, für die durch die Tat sowie für die nur im Willen begangenen, durch sein Gericht Strafen festgesetzt hat, derselbe hat auch Verzeihung auf dem Wege der Buße verheißen, indem er zum Volke sagte: 'žTue Buße und ich will dich erretten"4), und wiederum: 'žSo wahr ich lebe, spricht der Herr, ich will lieber die Buße als den Tod des Sünders"5). Mithin ist die Buße das Leben, da sie den Vorzug vor dem Tode hat. Tritt sie an, o Sünder, der du gesündigt hast wie ich, nein, |231 weniger als ich ---- denn ich gestehe meinen Vorrang im Sündigen zu ----, und umklammere sie so, wie ein Schiffbrüchiger einem Brett vertraut. Es wird dich, den in die Meeresfluten der Sünde Versenkten, emporheben und in den Hafen der göttlichen Erbarmung weitertragen. Ergreife die unerwartete glückliche Gelegenheit, damit du ---- einst nichts Besseres vor Gott als der Tropfen am Eimer, der Staub auf der Tenne und das Geschirr des Töpfers ---- von nun an werdest jener Baum, der an den Wassern gepflanzt ist, der immer grün bleibt, der zu seiner Zeit Früchte bringt, der das Feuer und die Axt nicht zu sehen bekommt! Deine Verirrungen mögen dich gereuen, nachdem du die Wahrheit gefunden, es möge dich reuen, geliebt zu haben, was Gott nicht liebt, da wir ja nicht einmal unsern Sklaven zu lieben erlauben, was uns zuwider ist. Denn der eigentliche Wesensgrund des Gehorsams besteht in Ähnlichkeit der Gesinnungen.

Allen Nutzen der Reue und Buße aufzuzählen, ist ein weitschichtiger und demgemäß eine große Beredsamkeit in der Behandlung erfordernder Stoff vorhanden. In Anbetracht unserer Unzulänglickeit wollen wir nur den einen Gedanken einprägen: was Gott befiehlt, ist gut, ja das beste. Ich halte es für eine Verwegenheit, darüber zu disputieren, ob eine Vorschrift Gottes gut sei. Nicht deswegen, weil sie gut ist, müssen wir auf sie hören, sondern weil sie eine Vorschrift Gottes ist. Für Leistung des Gehorsams kommt zuerst in Betracht die Erhabenheit der göttlichen Macht; erst kommt die Autorität des Befehlenden, dann der Vorteil des Gehorchenden, Ob es etwas Gutes sei, Buße zu tun oder nicht? Was sinnest du noch? Gott befiehlt es. Doch er befiehlt es nicht bloß, er ermahnt auch dazu, er ladet dazu ein durch Belohnung, durch das Heil, indem er sogar schwört mit den Worten: 'žSo wahr ich lebe"; er wünscht also, daß man ihm glaube. O wir Glückliche, um derentwillen Gott schwört! O wir Unglückselige, wenn wir Gott nicht einmal auf seinen Schwur glauben! Was also Gott so sehr ans Herz legt, was er sogar nach Menschenweise mit einer Schwurformel beteuert, das |232 müssen wir offenbar mit dem größten Ernst ergreifen und hüten, damit wir, in der Bewahrung der göttlichen Gnade verharrend, ebenso der Früchte und des Nutzens derselben versichert bleiben.

5. Ich behaupte nämlich, daß die Bekehrung6), wenn sie uns einmal durch die Gnade Gottes gewiesen und angezeigt ist, uns zum Herrn in seine Gnade ruft, wenn sie aber einmal erkannt und übernommen ist, nachher niemals mehr durch Rückfall in die Sünde gebrochen werden darf. Eine Entschuldigung mit Unwissenheit kommt dir nun schon nicht mehr zustatten, weil du den Herrn erkannt, seine Gebote angenommen, Buße für deine Sünden getan hast und dich dennoch aufs neue der Sünde hingibst. Je weiter du also von der Unwissenheit entfernt bist, desto mehr näherst du dich dem verstockten Trotz, Wenn der Umstand, daß du angefangen hattest, den Herrn zu fürchten, die Ursache deiner Bekehrung von der Sünde war, warum hast du nun vorgezogen, das, was du aus Furcht getan, wieder rückgängig zu machen und zu widerrufen? Doch nur aus dem Grunde, weil deine Gottesfurcht zu Ende war. Denn die Furcht wird durch nichts verdrängt als durch den Trotz, Wenn nun keine Rechtseinrede sogar die Unwissenden vor der Strafe zu schützen vermag, weil man Gott, der klar vor uns steht und aus seinen himmlischen Gaben selbst erkennbar ist, nicht ignorieren darf, um wieviel gefährlicher ist es, Gott, wenn man ihn erkannt hat, zu verachten! Es verachtet ihn aber, wer, nachdem er durch ihn die Erkenntnis von gut und böse erlangt hat, wieder nach dem greift, was er als vermeidenswert erkannt und auch wirklich schon vermieden hat, und so seiner bessern Erkenntnis, d. h. einer Gabe Gottes, Schmach zufügt. Er verschmäht den Geber, indem er die Gabe im Stiche läßt; er leugnet den Wohltäter, indem er die Wohltat nicht in Ehren hält. Wie könnte er noch dem gefallen, dessen Geschenk ihm mißfällt? So |233 erscheint er dem Herrn gegenüber nicht bloß als ein Verstockter, sondern sogar als ein Undankbarer.

Weiterhin sündigt nicht wenig gegen den Herrn, wer, nachdem er dessen Gegner, dem Teufel, durch die Buße widersagt und damit dem Herrn den Vorzug vor ihm gegeben hat, dann wiederum jenen emporhebt und sich zu einem Gegenstand der Freude für ihn macht, so daß der böse Feind sich gegen den Herrn rühmen kann, ihm eine Beute abgenommen zu haben. Es ist zwar gefährlich, es auszusprechen, aber ich muß es zur Auferbauung doch sagen, ---- er stellt den Teufel über Gott. Denn bei jemand, der beide kennen gelernt hat, scheint es, als habe er eine Vergleichung zwischen ihnen aufgestellt und als Urteil verkündet, der sei vorzüglicher, dem er hinterher doch lieber wieder angehören will. Wer durch Reue über seine Sünden begonnen hat, Gott genug zu tun, der würde durch eine andere Art Reue, eine Reue über seine Reue, nun dem Teufel Genugtuung leisten und Gott um so mehr zuwider sein, eine je angenehmere Person er dem Teufel geworden ist.

Gewisse Leute behaupten jedoch, es genüge Gott, wenn er im Herzen und im Geiste hochgehalten wird, wenn es gleich in den Handlungen weniger geschähe, und wenn Gottesfurcht und Glaube durch die Sünde nicht verletzt würden. Das würde soviel heißen, als ohne Verletzung der Keuschheit Ehebrüche begehen, ohne Verletzung der kindlichen Liebe seinem Vater Gift mischen. Wie solche ohne Verletzung der Gottesfurcht sündigen, werden sie auch ohne Verletzung der Barmherzigkeit in die Hölle gestoßen werden. Es ist der erste und größte Beweis der Verkehrtheit, daß sie sündigen, obwohl sie doch fürchten. Es will mir fast scheinen, sie würden gar nicht gesündigt haben, wenn sie keine Gottesfurcht gehabt hätten. Mithin, wer Gott nicht beleidigen will, der möge ihn auch gar nicht fürchten ---- wenn nämlich die Furcht ein Deckmantel gegen das Beleidigen ist. Aber Scherz beiseite! Diese klugen Leute gehen gewöhnlich aus der Sippe der Heuchler hervor; ihre Freundschaft mit dem Teufel ist eine unzertrennliche, ihre Bekehrung niemals zuverlässig. |234 

6. Was ich nach meinen schwachen Kräften hier7) als Grund dafür beizubringen versucht habe, daß man sich der Bekehrung einmal unterziehen und beständig daran festhalten müsse, das bezieht sich zwar auf alle, die sich dem Herrn hingegeben haben, weil sie alle Bewerber um das ewige Heil sind, indem sie sich Gott geneigt zu machen suchen ---- ganz besonders aber geht es diese Neulinge an, welche jetzt eben anfangen, ihr Ohr mit dem Worte Gottes zu erquicken, und wie Hündlein zarten Alters mit noch nicht ausgebildeten Augen unsicher umherkriechen, mit Worten allerdings ihrem frühern Leben entsagen und die Bekehrung über sich nehmen, aber es vernachlässigen, sie festzuschließen8)! Nämlich das der Begierlichkeit bevorstehende Ende ladet sie ein, irgend einer ihrer früheren Begierden noch etwas zu huldigen, gleichwie eine Frucht, die zwar vor Alter schon anfängt sauer oder bitter zu werden, teilweise doch immer noch durch einen Rest ihrer Lieblichkeit anlockt.

Die ganze Schuld an der Saumseligkeit und der Flucht vor der Bußübung trägt außerdem die vermessene Vorstellung, die man von der Taufe hat. Denn seiner unzweifelhaften Sündenvergebung sicher, stiehlt man jetzt noch die halbe Zeit und nimmt sich lieber Ausstand zum Sündigen als Unterweisung im Nichtsündigen. Wie töricht ist es aber, die Bußübung nicht zu erfüllen und doch Vergebung der Sünden zu erwarten9) ? Das hieße die Hand nach der Ware ausstrecken und den Preis nicht bezahlen. Denn nur um diesen Preis hat der Herr uns Vergebung zuzusichern beschlossen, nur gegen Entrichtung der Buße ist bei ihm |235 Straflosigkeit zu erkaufen. Wenn also schon die gewöhnlichen Verkäufer die Münze, um die sie übereingekommen sind, erst prüfen, ob sie nicht beschnitten, nicht abgegriffen, nicht falsch sei, so sind wir des Glaubens, daß auch der Herr, der uns einen so hohen Lohn, nämlich das ewige Leben, zugestehen will, vorher eine Prüfung unserer Buße anstellt.

'žAber schieben wir die wirkliche Buße lieber noch eine Weile auf! Unsere Besserung, meine ich, ist ja eine ausgemachte Sache, sobald wir losgesprochen werden" ----10), Keineswegs; sondern dann, wenn man den Blick auf die Strafe richtet, während die Verzeihung noch in der Schwebe bleibt, wenn man noch nicht verdient, befreit zu werden, gesetzt, daß wir es überhaupt verdienen könnten, wenn Gott droht, nicht wenn er vergibt. Welcher Sklave wird sich, nachdem er die Sklaverei mit der Freiheit vertauscht hat, seine Diebstähle und Ausreißereien nachher noch anrechnen? Welcher Soldat wird sich, aus dem Felddienste entlassen, noch wegen seiner Degradationen Sorge machen? Der Sünder muß vor Erlangung der Verzeihung seinen Zustand beweinen, weil die Zeit der Buße dieselbe ist wie die Zeit der Gefahr und der Furcht, Auch ich stelle nicht in Abrede, daß den Täuflingen die göttliche Wohltat, d, h, die Tilgung der Sünden, in jedem Falle gesichert sei, aber man muß sich, um dahin zu gelangen, Mühe geben. Wer würde dir, einem Menschen von so unzuverlässiger Reue, auch nur eine Bespritzung mit irgend welchem beliebigen Wasser gewähren? Sich diese Sache erschleichen und den dafür Bestellten durch seine Versicherungen täuschen, das ist leicht; ---- Gott aber trägt Sorge für seinen Schatz und läßt nicht zu, daß Unwürdige ihn erschleichen. Wie z. B. spricht er: 'žNichts ist verborgen, was nicht wird aufgedeckt werden"11). So dichte Finsternis du auch über deinem Tun |236 anhäufest ---- Gott ist das Licht, Manche aber denken sich, Gott wäre genötigt, auch Unwürdigen zu gewähren, was er versprochen hat, und machen so aus seiner Freigebigkeit einen Zwangsdienst, 'žWenn er uns aber den Schuldschein des Todes mit Notwendigkeit nachläßt, dann handelt er doch gegen seinen Willen?" ---- Aber wer läßt Bestand haben, was er wider Willen zugestanden hat? Fallen nicht nachher noch viele ab? Wird die Gabe nicht vielen wieder genommen? Diese sind es gerade, die sie sich erschleichen, welche, wenn sie zum Glauben gelangt sind, das Gebäude ihrer Bekehrung auf Sand bauen, so daß es einstürzt.

Niemand rede sich also ein, das Sündigen sei ihm jetzt noch erlaubt, weil er noch zu den Anfängern im Unterricht gehört12). Sobald du den Herrn kennen gelernt hast, solltest du ihn auch fürchten; sobald du ihn erblickt hast, auch ehrfurchtsvoll verehren. Was hilft es dir sonst, ihn erkannt zu haben, wenn du dich mit denselben Dingen abgibst, wie früher in deiner Unwissenheit? Was scheidet dich denn noch von den wirklichen Dienern Gottes? Ist etwa Christus für die Getauften ein anderer als für die Hörenden unter den Katechumenen? Ist die Hoffnung für sie eine andere, die Belohnung, die Furcht vor dem Gericht oder die Notwendigkeit der Bekehrung eine andere? Jenes Bad13) ist ja nur eine Besiegelung des Glaubens, welcher mit der Zuverlässigkeit der Bekehrung seinen Anfang nimmt und durch sie seine Empfehlung erhält. Wir werden nicht deshalb abgewaschen, damit wir aufhören zu sündigen, sondern deshalb, weil wir bereits aufgehört haben, weil wir dem Herzen nach schon abgewaschen sind. Das ist die erste Taufe, die der Hörenden, die vollkommene Furcht Gottes, Von da an, sofern du den Herrn nur fühlst, datiert der gesunde Glaube und ein Gewissen, das sich ein für allemal der Bekehrung zugewendet hat. Wenn wir hingegen erst von der Taufe an aufhören wollen, zu sündigen, dann legen wir nur aus Zwang, nicht von freien Stücken, das Gewand der |237 Sittenreinheit an. Wer verdient demnach den Vorzug im Guten, der, welcher nicht schlecht sein darf, oder der, dem dies zu sein mißfällt? Der, dem es befohlen wird, oder der, welcher Vergnügen daran findet, die Fehltritte zu meiden? Dann würden wir also auch unsere Hand vom Diebstahl nur in dem Falle zurückhalten, wenn uns die Festigkeit der Schlösser widerstünde, unsere Augen vor unzüchtiger Lüsternheit nur hüten, im Falle wir von den Wächtern der verführerischen, schönen Leiber zurückgerissen würden, ---- wofern nämlich niemand, der sich dem Herrn hingegeben hat, eher aufhören müßte, zu sündigen, als bis er durch die Taufe gebunden ist. Wenn aber jemand so gesinnt ist, so weiß ich nicht, ob nicht nach der Taufe die Betrübnis darüber, daß er zu sündigen aufgehört hat, bei ihm größer sein wird als die Freude darüber, daß er der Sünde entgangen ist.

Daher müssen die Hörenden die Taufe wünschen, nicht sie vorwegnehmen. Denn, wer sie wünscht, der ehrt sie, wer sie aber vorzeitig begehrt, ist stolz. Bei jenem tritt Ehrfurcht, bei diesem Ungestüm zutage. Jener bemüht sich darum, dieser nimmt es leicht. Jener sucht sie zu verdienen, dieser aber verspricht sie sich als etwas, was man ihm schuldig ist. Jener empfängt sie, dieser reißt sie an sich. Wen hältst du nun für den Würdigeren? Doch nur den, der sich gründlicher gebessert hat. Wer aber hat sich mehr gebessert? Doch nur der Gottesfürchtigere, welcher darum auch eine wahre Buße geleistet hat. Er fürchtete sich nämlich, noch zu sündigen, weil er dadurch unwürdig geworden wäre, zu empfangen. Jener vorzeitige Forderer hingegen ---- der konnte keine Furcht haben, weil er es in völliger Sicherheit erwartete; und so hat er auch keine Buße verrichtet, weil er des nötigen Hilfsmittels zur Bekehrung, der Furcht, entbehrte. Das vorschnelle Fordern ist halb und halb ein Mangel an Ehrfurcht; es bläht den Bittsteller auf und verachtet den Geber. Daher täuscht es auch mitunter. Denn man verspricht sich die Sache vor der Zeit, wodurch jedesmal der, welcher geben soll, beleidigt wird. |238 

7. Eigentlich sollten, Christus, o Herr, Deine Diener nur bis hieher von der Übung der Buße reden und reden hören; soweit wie sie auch als Hörende nicht mehr sündigen dürfen, sollten sie auch schon nichts mehr von Buße wissen wollen und nicht mehr über sie Auskunft verlangen. Nur mit Widerwillen lasse ich die Erwähnung der zweiten oder vielmehr bereits der letzten Hoffnung hier folgen, weil ich, indem ich von dem noch übrig bleibenden Rettungsmittel handle, in den Schein kommen kann, als wollte ich noch eine weitere Frist zum Sündigen zeigen. Gott behüte, daß es jemand so auslege, als wäre ihm auch jetzt noch der Weg zur Sünde frei, weil ihm der Weg zur Buße offen bleibt, und möchte die Überschwenglichkeit der Nachsicht Gottes nicht den Mutwillen der menschlichen Vermessenheit hervorrufen! Niemand soll darum schlecht sein, weil Gott gütig ist, oder so oft sündigen, als ihm verziehen wird.

Übrigens wird es mit dem Entkommen bald ein Ende haben, wenn es mit dem Sündigen kein Ende hat. Wir sind einmal glücklich entronnen; begeben wir uns nicht mehr in Gefahr, wenn wir uns auch schmeicheln dürfen, nochmals zu entkommen! Die meisten, welche aus einem Schiffbruche gerettet sind, sagen dem Meere und der Schiffahrt Lebewohl für immer und ehren dadurch die göttliche Wohltat ihrer Errettung, indem sie der Gefahr eingedenk bleiben. Ich finde ihre Furcht löblich und ihre Scheu gefällt mir. Denn sie wollen der göttlichen Barmherzigkeit nicht abermals zur Last fallen und fürchten den Schein, als träten sie die erlangte Gabe mit Füßen, Ihre Besorgnis, womit sie es meiden, mit dem, was sie einmal fürchten gelernt haben, nochmals Bekanntschaft zu machen, ist jedenfalls löblich. So ist das Ende ihrer Waghalsigkeit der Beweis ihrer Furcht. Furcht von Seiten des Menschen ist aber eine Ehre für Gott.

Allein unser so hartnäckiger Feind ruht mit seiner Bosheit niemals. Im Gegenteil, er wütet gerade dann am meisten, wenn er den Menschen vollständig entlastet sieht; dann wird er am heftigsten erregt, wenn seine |239 Macht ausgelöscht ist. Er muß notwendig trauern und seufzen, wenn durch die erlangte Sündenvergebung so viele Werke des Todes im Menschen zerstört, so viele Schuldtitel von dessen früherer Verdammnis ausgelöscht sind. Er ist ärgerlich, weil der ehemalige Sünder, der jetzige Diener Christi, ihn und seine Engel richten wird. Daher beobachtet er ihn, bekämpft und umlauert ihn, ob er nicht auf irgend eine Weise imstande sei, seine Augen durch fleischliche Begierden zu fesseln, seinen Geist durch irdische Verlockungen zu fangen oder seinen Glauben durch die Furcht vor den Gewaltigen der Erde zu erschüttern. Er läßt es an Ärgernissen, an Versuchungen nicht fehlen.

Diese Nachstellungen hat Gott vorher gewußt und, nachdem die Tür des gänzlichen Vergessens geschlossen, der Riegel der Taufe vorgeschoben ist, etwas wenigstens doch noch offen gelassen. Er hat in der Vorhalle die zweite Buße aufgestellt, um den Anklopfenden die Tür zu öffnen, aber ---- nur noch einmal, weil es schon das zweite Mal ist; aber ---- nun nicht mehr, weil das nächste Mal schon vergebens. Ist nicht auch dieses eine Mal schon hinreichend? Es ist schon ein Grund vorhanden, warum du es eigentlich nicht mehr verdientest. Du hast nämlich verloren, was du empfangen hattest. Wenn dich die Nachsicht Gottes instand setzt, wieder zu erstatten, was du verloren hattest, so sei für diese wiederholte, noch mehr aber für diese verstärkte Wohltat dankbar. Denn Wiedergeben ist etwas Größeres als Geben, wie es beklagenswerter ist, zu verlieren, als gar nicht bekommen zu haben.

Man muß jedoch auch nicht sogleich den Mut durch Verzweiflung ertöten und betäuben, wenn einmal für jemand diese zweite Buße nötig geworden sein sollte. Es sollte uns allerdings verdrießen, zum zweiten Male zu sündigen; aber zum zweiten Male Buße zu tun, das sollte uns nicht verdrießen. Es sollte uns verdrießen, abermals in Gefahr zu kommen, aber nicht, abermals errettet zu werden. Niemand schäme sich dessen! Bei wiederholter Krankheit ist wiederholt Medizin nötig. Du wirst dich gegen den Herrn dankbar zeigen, wenn |240 du, was dir der Herr anbietet, nicht verschmähest. Du hast ihn beleidigt; aber du kannst noch mit ihm ausgesöhnt werden. Du hast mit einem zu tun, der Genugtuung annimmt, und zwar gern.

8. Wenn du daran zweifelst, so schlage auf, was der Geist den Gemeinden sagt: Die Liebe aufgegeben zu haben, gibt er den Ephesern schuld; Hurerei und den Genuß von Götzenopferfleisch wirft er den Thyatirern vor; die Sarder klagt er an, daß ihre Werke nicht vollkommen seien; die Pergamener tadelt er, weil sie verkehrte Dinge lehren; die Laodizener schilt er wegen ihres Vertrauens auf die Reichtümer14) ---- und dennoch ermahnt er sie alle zur Buße, und zwar unter Drohungen. Er würde aber den Unbußfertigen nicht drohen, wenn er den Bußfertigen nicht verzeihen wollte.

Die Sache würde zweifelhaft sein, wenn er nicht anderweitig reichliche Milde zu erkennen gegeben hätte. Sagt er nicht: ,,Soll denn der, welcher fällt, nicht wieder aufstehen? Soll der, welcher sich abgewendet, nicht wieder zurückkehren?"15). Er ist es auch, er ist es, ,,der lieber Barmherzigkeit will als Opfer"16). Es freuen sich die Himmel und die Engel, welche dort sind, über die Buße des Menschen17), Höre, Sünder, sei guten Mutes; du siehst ja, wo man sich über deine Rückkehr freut!

Was bezwecken ferner die Gleichnisse des Herrn mit ihrem Inhalte? Daß das Weib eine Drachme verloren hatte, daß sie dieselbe suchte und fand und ihre Freundinnen zur Freude auffordert: ist das nicht ein Sinnbild des wiedergewonnenen Sünders? Es verirrt sich auch ein Schäfchen des Hirten, jedoch die ganze Herde war ihm nicht mehr wert als das eine, jenes eine wird gesucht, jenes eine vor allen ändern vermißt; endlich wird es gefunden und auf den Schultern des Hirten selbst zurückgetragen; denn es hatte beim Umherirren sehr viel auszustehen gehabt. |241 

Ich will auch nicht unterlassen, an jenen nachsichtigen Vater zu erinnern, der seinen verschwenderischen Sohn zurückruft, den bußfertigen, nachdem er Mangel gelitten, gern aufnimmt, das fetteste Kalb hergibt und eine Freudenmahlzeit anordnet. Warum auch nicht? Er hatte ja seinen Sohn wiedergefunden, der verloren war; da er ihn wieder gewonnen, war er seinem Herzen besonders teuer. Wen haben wir nun unter jenem Vater zu verstehen? Nur Gott, natürlich. Niemand ist so sehr Vater, niemand so voll Liebe, Er wird also dich, seinen Sohn, auch wenn du das von ihm empfangene Erbteil verschwendet haben, auch wenn du ohne Kleider zurückkehren solltest, wieder aufnehmen, bloß weil du zurückgekehrt bist, und er wird sich mehr über deine Rückkehr als über die Mäßigkeit des ändern Sohnes freuen; ---- aber nur, wenn es dich herzlich reuet, wenn du dein Hungerleiden mit dem Überfluß der Taglöhner deines Vaters vergleichst, wenn du die Schweine, das unreine Vieh, verlassest, wenn du den Vater wieder aufsuchest, obwohl er beleidigt ist, und sagst: 'žVater, ich habe gesündigt und bin nicht wert, dein Kind zu heißen," Das Bekenntnis der Sünden verringert sie in dem Maße, als das Verheimlichen sie verschlimmert. Denn das Bekennen geht aus dem Wunsche nach Genugtuung hervor, das Verheimlichen aber aus Eingebung der Verstocktheit.

9. Je mißlicher es also mit dieser zweiten und einzigen Buße steht, desto mühevoller ist es, sich darin zu bewähren, indem sie nicht bloß' innerlich vorgenommen, sondern auch durch einen äußerlichen Akt abgeleistet werden muß. Dieser Akt, welcher häufiger mit einem griechischen Worte benannt und bezeichnet wird, ist die Exomologesis, wodurch wir dem Herrn unsere Sünden bekennen, nicht zwar als wüßte er sie nicht, sondern insofern durch das Bekenntnis die Genugtuung vorbereitet wird, aus dem Bekenntnis die Buße hervorgeht, und durch die Buße Gott wiederum besänftigt wird. Daher ist die Exomologesis eine Anleitung für den Menschen, sich darnieder zu werfen und sich zu |242 verdemütigen, welche ihm einen Lebenswandel auferlegt, der geeignet ist, die Erbarmung herabzurufen. In betreff der Kleidung und Nahrung gebietet sie, in Sack und Asche zu liegen, den Körper durch Vernachlässigung der Sauberkeit zu verunstalten, den Geist in Trauer zu versenken, seine Sünden durch das bittere Andenken daran wieder zurückzunehmen; als Speise und Trank aber nur Ungewürztes zu genießen, natürlich nicht des Gaumens wegen, sondern um das Leben zu fristen, häufig die Gebete noch durch Fasten zu verstärken, zu seufzen, zu weinen, Tag und Nacht zum Herrn zu schreien, vor den Priestern niederzufallen, den Lieblingen Gottes die Knie zu umfassen und allen Mitbrüdern die Unterstützung unseres Anliegens anzuempfehlen. Dies alles übt die Exomologesis, um die Sinnesänderung annehmbar zu machen, Gott durch die Furcht vor der Gefahr18) zu ehren, die Stelle des Unwillens Gottes zu vertreten, indem sie selbst gegen den Sünder das Urteil fällt, und durch eine zeitliche, vorübergehende Beschwernis die ewigen Strafen, ich will nicht sagen, zu vereiteln, aber doch zu ersetzen. Indem sie also den Menschen darniederwirft, erhebt sie ihn um so mehr; indem sie ihn unsauber und vernachlässigt erscheinen läßt, reinigt sie ihn um so besser; indem sie ihn anklagt, entschuldigt sie ihn; indem sie ihn verurteilt, spricht sie ihn los. In dem Maße, als du keine Schonung mit dir übst, wird Gott, glaube es mir, deiner schonen.

10. Viele fliehen oder verschieben diese Angelegenheit von einem Tage zum ändern als eine Schaustellung ihrer selbst. Ich vermute, sie denken dabei mehr an die Beschämung als an ihr Heil, gleichwie Leute, welche sich eine Verletzung an weniger ehrbaren Stellen des Körpers zugezogen haben, dieselbe der Kenntnis der Ärzte verheimlichen und so mit ihrer Verschämtheit zugrunde gehen. Ja freilich, dem beleidigten Herrn genug zu tun, ist auch für das Ehrgefühl, und sich wieder herstellen zu lassen, das ist für das vergeudete Seelenheil etwas Unerträgliches, Wahrlich, das ist mir eine schöne |243 Schamhaftigkeit ---- wenn es gilt, abzubitten, verbirgt man sein Antlitz, zum Sündigen erhebt man es frech! Ich aber gebe der Schamröte keinen Raum, da ich aus dem Fehlen derselben mehr Gewinn ziehe, und sie selbst den Menschen gleichsam aufmuntert: 'žNimm auf mich keine Rücksicht, es ist mir besser, wenn ich um deinetwillen zugrunde gehe," Allerdings ist eine Gefährdung derselben beschwerlich, wenn sie durch Spötter mit Gelächter und Spottreden geschieht, wo der eine sich wegen des Falles des ändern erhebt, wo der Sturz des einen dem ändern zum Emporsteigen verhilft; dagegen unter Mitbrüdern und Mitknechten, wo Hoffnung, Furcht, Freude, Schmerz und Leiden gemeinsam sind, weil derselbe Geist von demselben Herrn und Vater allen gemein ist ---- warum wolltest du diese für etwas anderes als dich selbst halten? Warum fliehst du wie Spötter die, welche an deinen Unfällen Anteil nehmen? Ein Leib kann ja nicht froh sein bei der Plage eines seiner Glieder, er muß dann notwendig in seiner Ganzheit Schmerz empfinden und zur Genesung mitarbeiten. In dem einen wie in dem ändern lebt ja die Kirche; die Kirche aber ist Christus. Wenn du dich also den Mitbrüdern zu Füßen wirfst, so umfassest du Christum und flehest Christum an. Umgekehrt, wenn jene über dich Tränen vergießen, so leidet Christus, so fleht Christus zum Vater. Mit Leichtigkeit wird stets erlangt, um was der Sohn bittet.

Freilich stellt die Verheimlichung des Fehlers einen gewaltigen Gewinn für das Ehrgefühl in Aussicht. ---- Ja, allerdings, wenn wir, sobald wir der menschlichen Kenntnis etwas vorenthalten haben, es ebenso auch vor Gott geheim halten könnten. Darf die Meinung des Menschen und das Wissen Gottes miteinander auf eine Stufe gestellt werden, oder ist es etwa gar besser, im geheimen verdammt als öffentlich losgesprochen zu werden? ,,Es ist aber etwas so jämmerliches, auf diese Weise zur Exomologese zu kommen!" ---- Nein; durch die Sünde gerät man in Jämmerlichkeit; wo es sich um die Buße handelt, da ist von Jämmerlichkeit keine Rede, weil sie zum Heilmittel geworden ist. |244 Jämmerlich ist es auch, sich schneiden, mit dem Brenneisen ausbrennen oder durch ein ätzendes Pulver peinigen zu lassen, allein bei den Heilmitteln, welche unter Schmerzen Heilung bewirken, dient der Vorteil der Heilung zur Entschädigung der verursachten Pein und die Annehmbarkeit des darnach folgenden Nutzens zur Empfehlung für die augenblickliche Unbilde.

11. Wie aber, wenn, abgesehen von der Beschämung, welche man höher anschlägt, die körperlichen Beschwerden es sein sollten, welche zurückschrecken: daß man ungewaschen, in unsauberer Vernachlässigung, daß man fern von aller Lebensfreude verharren muß, im rauhen Bußsacke, in der abschreckenden Asche und mit leerem Magen ---- wegen des Fastens? Ich frage, paßt es sich etwa, daß man in Scharlach und Purpur seine Sünden abbitte? Nun ---- dann her mit der Nadel zum Scheiteln der Haare, her mit dem Zahnpulver und der Schere von Eisen oder Bronze zum Nägelbeschneiden, und was es an falschem Glanz und erborgter Röte gibt, das streiche dick auf Lippen und Wangen! Außerdem suche vergnügliche Bäder mit Parkanlagen oder in der Nähe des Meeres auf, vermehre den Aufwand, schaffe fett gemästetes Geflügel an, laß dir den ältesten Wein klären, und wenn dich jemand fragt, wem du das alles zugedacht hast, so sage: ,,Ich habe gegen Gott gesündigt und fürchte, ewig zugrunde zu gehen, daher bin ich nun matt und heruntergekommen und martere mich, um mich wieder mit Gott zu versöhnen, den ich durch meine Sünde beleidigt habe," Diejenigen freilich, welche sich auf Bewerbung um eine amtliche Stelle verlegen, lassen es sich nicht gereuen und nicht verdrießen, sich durch alle leiblichen und geistigen Beschwerden und nicht bloß durch Beschwerden, sondern durch Beschimpfungen aller Art hindurch zu arbeiten um ihrer Wünsche willen. Wie affektieren sie nicht Unscheinbarkeit in der Kleidung! wie belagern sie zu Begrüßungen sogar zu später Stunde oder gleich nach Tisch alle Türen! Bei jeder Begegnung mit einer angesehenen Person bücken sie sich tief, nehmen an keinem Gastmahl teil, halten sich von Schmausereien fern und versagen sich jeden |245 Genuß der Freigebigkeit und Fröhlichkeit. Das alles leiden sie nur wegen der flüchtigen Freude eines einzigen Jahres. Und wir sollten bei einer Gefährdung des ewigen Heiles zögern, über uns zu nehmen, was das Verlangen nach den Fasces ertragen macht! Wir sollten zaudern, dem beleidigten Gott eine Kasteiung im Essen und Trinken und im Putz darzubringen, welche die Heiden, ohne jemand beleidigt zu haben, sich auferlegen! Das sind diejenigen, in betreff deren die Schrift erinnert: 'žWehe denen, welche ihre Sünden gleichsam wie mit einem langen Seile festbinden"19).

12. Wenn du gegen die Exomologese Bedenklichkeiten hegst, so stelle dir im Herzen die Hölle vor, welche die Exomologesis dir auslöschen wird. Vergegenwärtige dir zuvor die Größe der Strafe, so wirst du mit der Annahme des Heilmittels nicht länger zaudern. Wofür haben wir nicht erst jenes ewige Feuermeer anzusehen, wenn schon bloße Abzugsschlote20) desselben so gewaltige Feuerströme ausstoßen, daß die benachbarten Städte bereits vernichtet sind oder dieses Schicksal jeden Tag erwarten? Es bersten majestätische Berge durch das innere Feuer, welches sich in ihrem Schöße befindet, und ---- ein Umstand, der uns die ewige Dauer des kommenden Strafgerichtes beweist ---- obwohl sie bersten, obwohl sie verschlungen werden, so nehmen sie doch kein Ende, Wer wollte nicht sofort die schrecklichen Erscheinungen an diesen Bergen für Vorbilder des dräuenden Gerichtes halten, wer nicht darin einstimmen, daß diese Funken Aussprühungen eines gewaltigen und unergründlichen Feuerherdes und gewissermaßen seine Versuchsgeschosse sind! Wenn du also weißt, daß es gegen die Hölle, jenem ersten Verwahrungsmittel, außer der Taufe des Herrn noch einen zweiten Schutz in der Exomologese gibt, warum lassest du dein Heil im Stich? Warum zauderst du, nach dem zu greifen, wovon du Heilung zu erwarten hast? |246 

Selbst das stumme und unvernünftige Getier erkennt die ihm von Gott bestimmten Heilmittel zur rechten Zeit. Der von einem Pfeil getroffene Hirsch weiß, daß er Diptam21) anwenden muß, um das Eisen und die festsitzenden Widerhaken aus der Wunde los zu werden. Die Schwalbe weiß, wenn ihre Jungen erblindet sind, sie wieder mit Schwalbenwurz sehend zu machen. Und der Sünder, der da weiß, daß die Exomologese zu seiner Wiederherstellung vom Herrn eingesetzt ist, sollte sie verabsäumen, sie, die jenem bekannten Könige von Babylon wieder zu seiner Herrschaft verholfen hat? Lange Zeit hindurch hat derselbe dem Herrn seine Bussübung aufgeopfert und in siebenjähriger Trauer Exomologese geleistet; seine Nägel waren verwildert nach Art von Adlerklauen, sein vernachlässigtes Haupthaar bot den schrecklichen Anblick eines Bären. Fürwahr eine üble Behandlung! Da sich die Menschen vor ihm entsetzten, so nahm Gott ihn wieder auf.

Der ägyptische Herrscher dagegen, der das Volk Gottes lange Zeit bedrückte, der sich lange Zeit weigerte, es seinem Herrn herauszugeben, der sich zu dessen Verfolgung in einen Kampf stürzte, obwohl nach den Beweisen der vielen Plagen noch die Teilung des Meeres stattfand, welches dem Volke allein den Durchgang gestattete ---- der kam durch die zurückströmenden Fluten um. Er hatte auch die Buße und deren Leistungen, die Exomologesis, von sich gewiesen.

Warum aber bin ich bei Behandlung dieser beiden rettenden Planken zum Heile der Menschen noch länger fast mehr auf Übung meiner Feder als auf meine Gewissenspflicht bedacht? Weil ich mit jeder Art von Sünden behaftet und für nichts anderes, als Buße zu tun, geboren bin, so kann ich über das nicht schweigen, wovon selbst Adam, der Erstling des Menschengeschlechts und der erste Sünder gegen den Herrn, durch die Exomologese wieder in sein Paradies zurückversetzt, nicht schweigt.


1. 1) Prioris. Diese Korrektur des Beatus Rhenanus ist von fast allen Herausgebern gebilligt; Öhler hat die Lesart der Handschriften peioris aufgenommen.

2. 2) Die richtige Lesart scheint doch augmentum, nicht argumentum zu sein. Tertullian nennt diese emendatio eine perversa, weil sie eine Rückkehr zur Sünde ist.

3. 1) Die Terminologie, deren sich Tertullian hier bedient, hat in der Theologie bekanntlich keinen Eingang gefunden. Der Grund, warum er gerade auf den Ausdruck corporalia für Tatsünden verfallen ist, liegt in der eigentümlichen Bedeutung, welche corpus in seiner philosophischen Sprache hat. Corpus ist ihm alles, was eine ,,bestimmte Seinsweise"' erlangt hat, also jede Substanz. Die Tat ist ihm nun das feste, greifbare Gewand, welches die an sich unbestimmte Gedankensünde angenommen hat. Der Ausdruck corpus peccati entspricht in etwa dem corpus, das er der menschlichen Seele beilegt, z. B. De carne Chr. c. 11, wobei er weit entfernt ist, eine Materialität der Seele lehren zu wollen.

4. 1) Ezech. 18, 21 u. 23. 

5. 2) Ebd. 33, 11.

6. 1) Poenitentia ist hier so viel als Bekehrung der Heiden zum christlichen Leben, christliches Bußlehen im allgemeinen.

7. 1) Absicht des 6. Kapitels ist nicht, zum baldigen. Empfang der Taufe zu ermähnen, wie manche meinen, sondern die Katechumenen zu ernstlichen Bußdbungen vor deren Empfang anzuhalten. Manche davon machten es sich im Hinblick auf die zu hoffende Sünde anachlassung in der Taufe mit der Vorbereitung zu bequem.

8. 2) Die Bedeutung von includere erhellt aus De jej. c. 15 und De virg. vel. c. 2. Öhler ist mit seinen Erklärungsversuchen auf der unrechten Fährte.

9. 3) Öhler ändert unnötiger Weise et in ei.

10. 1) In Folgendem wendet sich Tertullian gegen diejenigen, welche vor der Zeit und ungestüm begehrten, zur Taufe zugelassen zu werden, bevor sie die herkömmlichen Bußübungen, die zur Vorbereitung bestimmt waren (poenitentia vera), welche unten Kap. 9 am Ende aufgezählt werden, durchgemacht hatten.

11. 2) Luk. 8, 17.

12. 1) Zu der Klasse der Audientes unter den Katechumenen. 

13. 2) Die Taufe.

14. 1) Off. 2 u. 3.

15. 2) Jer. 8, 4.

16. 3) Oseas 6, 6; Matth. 9, 13.

17. 4) Luk. 15, 10.

18. 1) Vor der ewigen Strafe.

19. 1) Eine solche Stelle findet sich in der Hl. Schrift nicht. Ob Tertullian an Sprichw. 5, 22 gedacht hat?

20. 2) Vgl. Apolog. c. 47. Tertullian denkt sich die Hölle im Innern der Erde und die feuerspeienden Berge als damit in Verbindung stehend.

21. 1) Origanum dictamnus (Linné).


Previous PageTable Of ContentsNext Page

Übersetzt von Heinrich Kellner, 1912/1915.  Übertragen durch Roger Pearse, 2002.


This page has been online since 2nd November 2002.


Return to the Tertullian Project Deutsche Übersetztungen About these pages